Das langsame Sterben des Fernsehens

Trier · Jetzt erwischt es die Altmeister. Das Ende der Shows von Harald Schmidt und Thomas Gottschalk zeigt: Das Fernsehen hat seine besten Jahre hinter sich.

Trier. Früher war alles anstrengender. Sogar das Fernsehprogramm. Zum Feierabend mutete man geräderten Hausfrauen und erschöpften Fabrikarbeitern Politmagazine und gesellschaftskritische Fernsehspiele zu. Unterhaltungssendungen gab es nur in wohldosierter Form. Und selbst dann verloren ARD und ZDF ihren öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag nicht aus den Augen.
Bei "Was bin ich?" lernte der Zuschauer die bundesdeutsche Berufswelt kennen. Und bei "Der große Preis" wurde er mit Themen konfrontiert, die garantiert nicht massenkompatibel waren. Aus heutiger Sicht erscheint es unglaublich, dass bis zu 60 Prozent aller Haushalte eingeschaltet waren, wenn sich Wim Thoelkes Kandidaten zu Spezialgebieten wie Giacomo Puccini oder Georges Simenon im Detail auslassen mussten. Aber es gab ja keine Alternative in den Jahrzehnten des Staatsfernsehens.
Es muss knallen


Dann kamen RTL und Sat.1, und alles wurde anders. Zwischen dem Ende von "Dalli Dalli" (September 1986) und dem Beginn der Stripshow "Tutti Frutti" lagen nur drei Jahre, aber Welten. Die Zurückhaltung, die ein Hans Rosenthal an den Tag gelegt hatte, wirkte nun - im einsetzenden Kampf um Marktanteile - seltsam altmodisch. Knallen musste es. Langeweile war Gift für die Quoten. Programmmacher beschäftigte nur noch eine Frage: Wie kann man den Zuschauer am Wegzappen hindern?
Darauf gab es keine Lehrbuchantworten. Kein Schema F, nach dem man hätte vorgehen können. Also blieb nur ausprobieren. Immer wieder Pionier sein. Einen Kindergeburtstag unter Erwachsenen nachspielen ("Alles Nichts Oder?!"), eine Talkshow in eine Brüllerei ausarten lassen ("Der heiße Stuhl"), Heimatfilmkitsch neu zelebrieren ("Ein Schloss am Wörthersee"). Das war oft albern, gelegentlich dämlich, aber immer überraschend.
Improvisiert, überdreht, boshaft


Denn Sendungen wie "Dall-As" oder "RTL Samstag Nacht" hatte es bis dato im deutschen Fernsehen nicht gegeben. Improvisiert, überdreht, boshaft. Da verließ ein Roland Kaiser beleidigt die Sendung, weil Karl Dall ihn von der Seite anmachte: "Na, sing schon mal, damit wir es hinter uns haben!" Die übertriebene Rücksichtnahme, das Nirgendwo-anecken-Wollen der Öffentlich-Rechtlichen - all das gab es im Privatfernsehen nicht. Kein Wunder, dass schließlich auch Harald Schmidt die Seiten wechselte. Nachdem er "Verstehen Sie Spaß?" erfolgreich versenkt hatte - mit seinem Sarkasmus war das brave, an Paola und Kurt Felix gewöhnte Publikum heillos überfordert -, ging er 1995 zu Sat.1 und tobte sich jahrelang in der "Harald Schmidt Show" aus.
Doch auch das Privatfernsehen wurde älter. Längst liegt die wüste Pubertät Jahre zurück. Die Keckheit des Underdogs, der den Etablierten eine lange Nase zeigte, ist Verzagtheit gewichen. Aus dem Angreifer ist ein Verteidiger geworden, der Marktanteile und Werbeeinnahmen zu retten sucht. Nicht nur das Internet und Hunderte von Kabelkanälen setzen den großen Sendern zu. Immer weniger Zuschauer wollen sich von Programmmachern diktieren lassen, wann sie die Glotze einzuschalten haben. Wer gezielt fernsehen will, bedient sich anderwärtig. Bezahlsender, Digital- und DVD-Verleihe profitieren vom Wunsch nach zeitlicher Flexibilität. Und der echte Fan wartet ohnehin nicht, bis die nächste Staffel seiner US-Lieblingsserie ihre Premiere im Free-TV erlebt, sondern bestellt sie Monate vorher online.
Allenfalls bei Fußballweltmeisterschaften und ritualisierten Sendungen (der "Tatort" am Sonntagabend) funktioniert Fernsehen noch als Massenereignis - Rudelgucken ist Teil der modernen Eventkultur. Doch das ist die Ausnahme. Die meiste Zeit ist Fernsehen gesellschaftlich unwichtig geworden. Keiner muss mehr Gottschalk oder Jauch schauen, um am Arbeitsplatz mitreden zu können. Fernsehen ist zur bebilderten Fahrstuhlmusik geworden. Es läuft im Hintergrund mit, stört nicht besonders, und wenn man aussteigt, hat man es sofort vergessen. Und Harald Schmidt? Den gibt\'s ja immer noch auf Sky, DVD und YouTube.Extra

Harald Schmidt wechselt mit seiner Late-Night-Show von Sat.1 zum Bezahlsender Sky. Ab Herbst werde die "Harald Schmidt Show" dreimal die Woche von dienstags bis donnerstags um 22.15 Uhr bei Sky zu sehen sein, teilte der Sender mit. Heute hat Schmidt seine letzte Show bei Sat.1, die Sendung hatte die Quotenerwartungen nicht erfüllt. dpa

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