Das Publikum will unterhalten werden

Trier · Das Theater Trier kämpft nicht nur mit Haushaltsauflagen, sondern auch mit der Publikumsentwicklung. Die Gesamtzahl stagniert auf niedrigem Niveau, nur einige wenige Publikumsrenner garantierten für Nachfrage. Das zeigt die Spielzeitbilanz 2010/11.

Trier. "Rocky Horror Show" 16 100, "Biene Maja" 15 700, "My Fair Lady" 10 300: Das sind die Haben-Zahlen in der Saisonbilanz, die Kulturdezernent Egger und Intendant Weber gestern im Kulturausschuss vorlegten. Jede einzelne dieser Produktionen hatte deutlich mehr Besucher als alle vier gezeigten Opern zusammen. Das einst so starke klassische Musiktheater lockte noch ganze 9600 Besucher - halb so viel wie in der Ära Kindermann. Bei "Macbeth" und "The Voyage" blieben statistisch mehr als die Hälfte der Sitze leer, nur "Lakmé" schnitt deutlich besser ab.
Flaute auch beim Schauspiel: Nur 12 000 Besucher im Großen Haus, ein Drittel weniger als in der letzten Spielzeit. Hätte nicht "Mutter Courage" die Sache halbwegs rausgerissen, wäre auch hier ein Absturz zu verzeichnen. Der "anspruchsvolle Konzeptspielplan", sagt Intendant Gerhard Weber, habe zwar überregionales Medieninteresse gebracht, "aber beim Trierer Publikum konnten sich Produktionen wie ,Mitternachtskinder\' oder ,The Voyage\' bedauerlicherweise nicht durchsetzen".
Mit 8000 Besuchern konnte das Tanztheater leicht zulegen - Direktor Sven Grützmachers Konzept, je eine populäre und eine anspruchsvollere Produktion anzubieten, aber beide mit individueller künstlerischer Handschrift, scheint aufzugehen.
Das Orchester verzeichnet bei den traditionellen Sinfoniekonzerten eine kontinuierliche Entwicklung nach oben, die Auslastungsquote erreicht mit über 82 Prozent wieder bessere Werte als in den vergangenen Jahren. Eine geradezu sensationelle Entwicklung nimmt das Lieblingskind von Generalmusikdirektor Victor Puhl: Die "Weltmusik"-Konzerte mausern sich im dritten Jahr zu einem absoluten Renner. 90 Prozent der Plätze sind belegt. Da hat sich Qualität herumgesprochen.
Renner: Die Weltmusik-Konzerte


Berg- und Talbahn bei den kleineren Produktionen: Wenig Resonanz im Studio für "Kaspar Häuser Meer" oder "Geschichte der Zukunft". Das Kultstück "Josef und Maria" im Modehaus Marx punktet dagegen mit vierstelligen Besucherzahlen, der Theatersport in der Tufa, eher Privatinitiative der Akteure als Theaterveranstaltung, zieht 1700 Zuschauer an - neuer Rekord.
Es gibt also auch Lichtblicke. Der Intendant spricht von einer "deutlichen Kontinuität in der Gesamtauslastung" und verweist darauf, dass das "Kerngeschäft im Repertoirebetrieb des großen Hauses" immerhin dank 20 zusätzlicher Vorstellungen den Wegfall der Antikenfestspiele kompensiert habe.
Dennoch: Die Abschlusszahl von 102 715 Besuchern liegt noch einmal 100 unter dem mageren Vorjahres-Ergebnis. "Die Zahlen fordern nicht zu Freudensprüngen heraus", sagt Kulturdezernent Thomas Egger, der dennoch den Einsatz des Hauses lobt. Es hätte schlimmer kommen können, so sein Fazit. Dabei will er aber nicht stehenbleiben: "Wir müssen uns etwas Gutes einfallen lassen, auch in Richtung Marketing" - so umreißt Egger die Aufgabe der kommenden Jahre.Meinung

Niveau ist keine Hautcreme
Das Beunruhigende an der Theaterbilanz 2010/11 sind nicht die nackten Zahlen. Zuwachsraten in dieser Kultursparte sind derzeit kaum zu erzielen. Das Stammpublikum dünnt sich aus, Nachschub ist schwer zu gewinnen. Da ist Kontinuität auf niedrigem Stand keine Katastrophe. Aber in Trier ist das Problem noch ein anderes. Nimmt man Musical, Operette und Märchen zusammen, also die "leichte Muse", verzeichnen vier (!) Produktionen schon die Hälfte des Publikums. Der riesige Rest an Theater-Angeboten dümpelt zuschauermäßig vor sich hin. Das ist gefährlich. Denn für Unterhaltungsprogramme braucht man kein hoch subventioniertes Ensemble-Theater, die kann man auf dem freien Markt einkaufen. Sicher nicht so liebevoll gemacht, aber durchaus professionell. Drei Mal Arena, und man hätte auch 16 000 Rocky-Horror-Fans bedient. Es wäre also ein grober Fehlschluss, jetzt kurzsichtig darauf zu schielen, wie man möglichst schnell möglichst viele Leute ins Haus zieht. Öffentlich gefördertes Theater muss einen hohen Anspruch haben, sonst verliert es seine Legitimation. Aber es muss sein Publikum eben auch von Theater mit Niveau überzeugen - und dafür begeistern. Das funktioniert zurzeit nicht. Dass es geht, zeigt beispielhaft die Weltmusik-Reihe des Orchesters, die sich zunehmend durchsetzt. Weil sie nicht nur innovativ ist. Sondern auch gut. d.lintz@volksfreund.de

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