Interview „Ich beschreibe die Angst der Menschen“

Trier · Das neu gefasste „Requiem aeternam“ des Trierer Komponisten wird am 3. November im Dom uraufgeführt.

 Kapellmeister, Kirchenmusiker, Komponist und früherer Regionalkantor: Joachim Reidenbach.

Kapellmeister, Kirchenmusiker, Komponist und früherer Regionalkantor: Joachim Reidenbach.

Foto: roland morgen (rm.) - roland morgen (rm.)

Schönreden ist seine Sache nicht. Wenn Joachim Reidenbach die große, traditionelle Totenmesse vertont, dann zielt er nicht auf ewige Seligkeiten, sondern ganz diesseitig auf die Angst der Menschen, die dem Tode nahe sind. Dazu steht dem Trierer Komponisten ein umfangreiches (musikalisches) Vokabular zur Verfügung. Reidenbach setzt für sein „Requiem aeternam“ Solist, großes Orchester, Chor und Fernchor ein, zitiert Paul Gerhardt, Bach, Brahms und die traditionelle Liturgie. Rührselig wird seine Komposition nicht. Das „Requiem aeternam“, das am 3. November im Trierer Dom uraufgeführt wird, ist eine Totenmesse ohne billigen Trost. TV-Mitarbeiter Martin Möller sprach vorab mit dem Komponisten.

Herr Reidenbach, die Kirchenmusik bietet für Komponisten ein reiches Betätigungsfeld. Warum haben Sie ausgerechnet ein Requiem vertont?

JOACHIM REIDENBACH Das hat einen ganz persönlichen Hintergrund. Kern des Requiems ist meine Psalmvertonung „Aus der Tiefe, Herr, rufe ich zu dir“  von 1987 zum Gedenken an den Tod einer Person, mit der ich freundschaftlich verbunden war. Und was ich damals skizzenhaft an Musik aufgezeichnet habe, wollte ich jetzt nach 30 Jahren noch einmal neu fassen, in einer erweiterten und großorchestral besetzten Komposition.

Das Requiem ist Schlüsselwerk geistlicher Musik. Mozart, Verdi, Brahms, Britten, Bernd Alois Zimmermann, Wolfgang Rihm und viele andere haben Totenmessen komponiert. Was ist anders in Ihrem Requiem?

REIDENBACH Ich würde es so formulieren: Ich beschreibe mit Psalm-Zitaten (Klageliedern des Einzelnen) und Worten romantischen und eines zeitgenössischen Autors sowie aus Briefen einer Todkranken  die Angst von Menschen, die durch Krankheit oder Unglück dem Tod ausgeliefert sind. Das ist eine zentrale Aussage meines Requiems. Sie wird allerdings im letzten Teil des Werks durch Klangflächen und Zitate des gregorianischen Chorals aufgefangen.

Vertonen Sie den gesamten Text des traditionellen Requiems, oder beschränken Sie sich auf Auszüge?

REIDENBACH Ich greife Teile des traditionellen Requiems heraus und verbinde die mit  anderen Stilistiken des 16./17. Jahrhunderts (Johann Sebastian Bach beispielsweise).  Das abschließende „Lux aeterna“ verwendet dann ganz den Wortlaut des traditionellen Requiems.

Gibt es denn Abschnitte im Text, die Sie ganz persönlich berühren oder die Sie einfach als Komponist  für vorbildlich halten?

REIDENBACH Ich habe eine Textstelle aus den Briefen der jungen Frau zitiert. Sie erscheint aber nicht als Vertonung, sondern nur als gesprochener Text. Was im Werk musikalisch davor und danach kommt, das ist dieser Textstelle tief nachempfunden.

Die Person, um die Ihr Requiem gleichsam herumkomponiert ist – was war sie  für ein Mensch? Wie stehen Sie heute zu ihr?

REIDENBACH Man kann den Ausdruck in meiner Komposition vielleicht als „stilisierte Trauer“ verstehen. Die persönliche Begegnung liegt nun mehr als 30 Jahre zurück und war auch eine Begegnung in der Musik. Ich habe sie aus den Augen verloren und später dann erfahren, dass sie todkrank ist. Für mich war sehr wichtig, in den letzten Monaten ihres Lebens in regelmäßigem Kontakt zu ihr gestanden zu haben. Die persönliche Bindung ist für die Musik meines Requiems bedeutsam gewesen. Ich möchte auch in Töne fassen, was Menschen auf dem Weg zum Tod erleben und empfinden.

Ein Requiem geht an die Wurzeln menschlicher Existenz. Ganz persönlich gefragt: Wie stehen Sie zum „Lux aeterna“ – zur Vision eines ewigen Lebens?

REIDENBACH Ich möchte es so ausdrücken: Diese Vision ist ein neues, menschlich naheliegendes Wunschdenken – man kann es nicht anders formulieren. Ich versuche, im „Lux aeterna“ durch Klangflächen eine Art akustischen Nebel auszubreiten, der die Botschaft des „ewigen Lichts“ quasi andeutet. Ich hab am Schluss ein klangvolles, doppelchöriges „Amen“ vertont, und doch bleibt alles letztendlich Wunschvorstellung.

Das heißt doch: Das Lux aeterna ist nur ein unbestimmtes Licht…

REIDENBACH … und der gregorianische Choral, den ich zitiere, hat durch die kompositorische Anlage mit einem Fernchor auch etwas kalkuliert Vages. Ich möchte aber noch etwas dazu sagen: Ich bin über die Nähe zum „Deutschen Requiem“ von Brahms im kommenden Konzert sehr glücklich. Weil meine Komposition sich im Wesentlichen mit der Angst vor dem Tod auseinandersetzt. Und danach – ganz anders Brahms. Was dessen „Deutsches Requiem“ ausdrückt, ist eine solch wunderbar tröstende Glückseligkeit – und vielleicht eine Antwort auf die Fragen, die mein Requiem stellt.


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