Das Seelenleben eines Zerrissenen

Trier · Das Trierer Tanztheater geht einmal mehr neue Wege: Zum ersten Mal hat man zwei internationale Top-Choreographen eingeladen, um einen Doppelabend mit ganz unterschiedlichen Handschriften zu gestalten. Stephan Thoss und Philippe Talard setzen sich in "Träumerei" mit dem vor 200 Jahren geborenen Robert Schumann auseinander.

 Träumerei im Schwebezustand: André Mergenthaler ist nicht nur als Cellist, sondern auch in Video-Sequenzen präsent. Foto: Philippe Talard

Träumerei im Schwebezustand: André Mergenthaler ist nicht nur als Cellist, sondern auch in Video-Sequenzen präsent. Foto: Philippe Talard

Trier. Ein Abend, zwei Philosophien: Das abstrakte, Seelenräume beschreibende Tanztheater von Philippe Talard trifft auf ein biografisches Handlungsballett von Stephan Thoss. Bei Talard agieren anonyme Figuren, bei Thoss konkrete Personen. Talard lässt die Tänzer in kleinen, abgegrenzten Kästen auftreten, Thoss öffnet die Räume. Bei Talard dreht sich der Boden, bei Thoss das Licht am Bühnenhimmel.

Der rote Faden heißt Robert Schumann. Nicht unbedingt der Lieblingskomponist der beiden Choreographen, wie sie offen einräumen. Aber einer, dessen Leben zur Auseinandersetzung reizt. Schumann, das Genie. Schumann, der Zerrissene. Schumann, der Verlierer. Schumann, der Schizophrene.

"Einer, der sich immer am Abgrund bewegte", sagt Philippe Talard. "Einer, der verzweifelt um Nähe gekämpft hat", sagt Stephan Thoss. Talard setzt musikalisch auf großes Orchester und Cello. Thoss arbeitet mit Klavier und Streichquartett.

Zwei unterschiedliche Geschichten, zwei unterschiedliche Bühnenbilder, zwei unterschiedliche Musikkonzepte: Das bedeutet praktisch zwei Produktionen in einer. Mit enormem Aufwand für das Tanzensemble, das Orchester und die Technikabteilungen des Trierer Theaters. Einen solchen künstlerischen Luxus, an anderen Häusern gang und gäbe, hat sich der Trierer Ballettchef Sven Grützmacher bisher noch nicht geleistet.

Dass es gelungen ist, dafür zwei Erstliga-Choreographen zu gewinnen, hat auch damit zu tun, dass die Musik live von den städtischen Philharmonikern eingespielt wird. "Mit Live-Orchester zu arbeiten ist immer etwas Besonderes", versichert Thoss. Talard bringt den Luxemburger E-Cellisten André Mergenthaler mit - im Großherzogtum ein Kultmusiker. Weitere Solisten sind Stéphane Giampellegrini (Cello) und Ketevan Rukhadze (Klavier).

Dieser Tage geht es in die Schlussproben, und zum ersten Mal sehen die Choreographen auch die Arbeit des jeweils anderen. Eine spannende Phase. "Vieles liegt auseinander, trotzdem entdeckt man immer wieder Zusammenhänge", registriert Stephan Thoss.

Schumanns Musik, darin herrscht Einigkeit, ist gut "betanzbar". Die Interpretation ist mit Dirigent Victor Puhl sorgfältig abgestimmt. Der erste Trie rer Doppeltanzabend kann kommen.

Premiere: 20. März, Vorstellungen: 22., 26., 30. März; 8. April; 8., 22. Mai. Karten an der Theaterkasse oder unter 0651/7181818. Theatercafé am 13. März, 11.15 Uhr.

Extra

Philippe Talard, 1956 in Frankreich geboren, war Tänzer bei großen Ballett-Kompanien, unter anderem bei Maurice Béjart in Brüssel. Er leitete das Ballett in Ulm und wurde in den neunziger Jahren als Ballettchef in Mannheim überregional bekannt. Seit zehn Jahren hat er seinen Arbeitsschwerpunkt in Luxemburg, realisiert aber auch freie Produktionen in ganz Europa. Talard gilt als experimentierfreudig, arbeitete häufig mit Strafgefangenen und brachte sein Tanztheater sogar in eine Autobahnraststätte. Stephan Thoss, 1965 in Leipzig geboren, wurde an der berühmten Palucca-Schule Dresden ausgebildet. Ab 1998 arbeitete er als Ballettdirektor in Kiel, Hannover und Wiesbaden, wo er immer noch tätig ist. Als Gastchoreograph inszenierte er bei John Neumeier in Hamburg, Marcia Haydee in Stuttgart, dem bayerischen Staatstheater und dem Nederlands Dans Theater. Seine Arbeit wurde oft preisgekrönt, zuletzt 2007 mit dem deutschen Theater-Oscar "Faust". (DiL)

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