Das (Un)geschriebene auf die Bühne gebracht

Trier · Die Übersetzung von Daniel Glattauers vielgefeiertem E-Mail-Roman "Gut gegen Nordwind" ins leibhaftige Bühnenspiel ist dem Theater Trier ergreifend gut gelungen. Am Donnerstag feierte die Inszenierung von Werner Tritzschler im Studio erfolgreich Premiere.

 Dialog mit dem Bildschirm: Jan Brunhoeber alias Leo und Vanessa Daun alias Emmi zeigen, was in einer E-Mail alles stehen kann, ohne dass es geschrieben wurde. Fotos: Marco Piecuch

Dialog mit dem Bildschirm: Jan Brunhoeber alias Leo und Vanessa Daun alias Emmi zeigen, was in einer E-Mail alles stehen kann, ohne dass es geschrieben wurde. Fotos: Marco Piecuch

Trier. Der Text einer E-Mail bleibt ohne interpretierenden Tonfall, Gestik, Mimik - nicht mal Handschrift oder Papierwahl verraten etwas über den Verfasser. Situation und Ort von Absender und Empfänger sind unbekannt.
Wie also eine Liebesgeschichte, die sich nur in E-Mails abspielt, auf die Theaterbühne bringen? Es gibt keine physische Handlung. Es gibt keinen Ort außer dem Nicht-Ort World Wide Web und der geheimen Gedanken- und Fantasiewelt von Schreiber und Leser.
In den Weiten des Internet


Das Theater Trier hat sich an diese Herausforderung gewagt. Am Donnerstag war die Bühnenfassung des Bestsellers "Gut gegen Nordwind" von Daniel Glattauer in einer Inszenierung von Werner Tritzschler zum ersten Mal im Studio zu sehen.
Das Studio als schwarzer Raum war wie geschaffen dafür, eine Geschichte zu erzählen, die ausschließlich in den Weiten des Internets angesiedelt ist: Dort begegnen sich die Protagonisten Emmi Rothner und Leo Leike rein zufällig durch einen Tippfehler in der Mailadresse. Es entwickelt sich eine Liebesbeziehung - emotionsgeladen und bis zum Schluss rein virtuell.
Für die Darsteller Vanessa Daun als Emmi und Jan Brunhoeber als Leo ist diese Inszenierung ein wahrer Kraftakt. Eineinhalb Stunden lang genießen sie die volle Aufmerksamkeit des Publikums. Das extrem reduzierte Bühnenbild (Susanne Weibler) ist schnell erfasst: Der Unort Internet ist nicht konkretisierbar. Zwei Laptops, Weinglas und -flasche sind die einzigen Requisiten.
Als Handlung bleibt den Schauspielern lediglich das "Sichtbarmachen" der E-Mails. Das schaffen die beiden in eindringlicher Intensität. Sie reizen die Bedeutung der Schriftsprache mit ihrem Spiel komplett aus. Übersetzen typographische Hinweise wie Blockbuchstaben in Intonation und Gebärden, spiegeln Interpunktionen in ihrer Mimik und interpretieren die Masse an Ungeschriebenem und das Zwischen-den-Zeilen-Stehende mit Körper und Stimme.
Und das alles, ohne miteinander zu interagieren, ohne sich sehen zu dürfen, geschweige denn berühren zu können. Der Laptop ist das Gegenüber, der eigentliche, anonyme Gesprächspartner. Zweimal nur wird diese körperliche Distanz aufgehoben, berühren sich Emmi und Leo - die Fantasie durchbricht das Schwarz des World Wide Web.
In ihrem Spiel überspitzen Daun und Brunhoeber das emotionale Chaos, in das Emmi und Leo sich zeitweise hineinsteigern. Sie reagieren immer ein wenig heftiger, als es in der realen Welt vielleicht geschehen würde. So, wie die Anonymität des Internets es Emmi und Leo erlaubt, je nach Stimmungslage mehr oder weniger von sich preiszugeben, als sie es von Angesicht zu Angesicht vielleicht tun würden.
Es bleibt offen, ob die rein physische Erscheinung von Vanessa Daun wirklich Emmi darstellt und die von Jan Brunhoeber Leo. Oder ob sie jeweils die Wunschprojektion des anderen sind. Trägt Emmi wirklich ein erotisches, knallrotes Kleid (Kostüme: Carola Vollath), als es zwischen den beiden zu knistern beginnt - oder ist das nur die Vorstellung, die Leo von ihr hat? Die Dramaturgie (Sylvia Martin) funktioniert bis zum Schluss, der Spannungsbogen ist gegen Ende kurz vorm Zerreißen. Die Schauspieler schleudern die auf der Bühne enthüllten, aus der indifferenten Mailform herausgeschälten Emotionen dem Publikum entgegen, das gebannt und berührt im Schwarz des ausverkauften Studios sitzt.Weitere Vorstellungen von "Gut gegen Nordwind" im Studio des Theaters Trier am 1., 6., 9., 15. und 22. Oktober sowie am 2. und 4. November. Beginn jeweils 20 Uhr. Karten gibt es an der Abendkasse und unter der Telefonnummer 0651/7181818 . arn

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