Literatur Gleiche Hölle, andere Seite

Trier · Was ein neuer Roman des Trierer Autors Florian Schwarz mit dem Erfolgsfilm „1917“ zu tun hat.

 Der Trierer Autor Florian Schwarz lässt seine Roman-Premiere „Stichling“ im Ersten Weltkrieg spielen.    Foto: Studio Linda Blatzek

Der Trierer Autor Florian Schwarz lässt seine Roman-Premiere „Stichling“ im Ersten Weltkrieg spielen.  Foto: Studio Linda Blatzek

Foto: Studio Linda Blatzek/Linda Blatzek

Der Wurm muss dem Fisch schmecken – und nicht dem Angler. Der nicht mehr ganz quellfrische Spruch mag noch die flachsten Tümpel des Trashfernsehens rechtfertigen. Oder die lieblosesten Auftragsarbeiten. Ein ähnlicher Grundsatz, weniger umstritten, gilt beim Schreiben: Der Leser sollte immer im Blick sein. Nicht für sich selbst schreiben, sondern für den Leser. „Das habe ich nicht gemacht“, sagt Autor Florian Schwarz über seinen Debütroman „Stichling“: „Es war umgekehrt. Ich habe angefangen, ein Buch zu schreiben, das ich selbst gerne lesen würde. In einer Sprache, die mir gefällt und mit einer Thematik, die mich interessiert.“

Seit ein paar Wochen liegt „Stichling“ vor, erschienen im Buchfink-Verlag, den Schwarz gemeinsam mit Susanne Philippi im vergangenen Jahr in Trier gegründet hat. Es ist, vorweg gesagt, ein Buch, das den Leser mitnimmt. Nicht nur in die Schützengräben. Das große Thema, das den 41-Jährigen schon seit der Studienzeit an der Universität Trier umtreibt, ist der Erste Weltkrieg, der die Industrialisierung aufs Schlachtfeld brachte. Der Krieg war immer wieder sein Fixpunkt, in der Literaturwissenschaft, Geschichte, Medienwissenschaft. 14 Jahre lang trug Schwarz die Geschichte in sich, von der ersten Idee bis zur Veröffentlichung. Er arbeitete akribisch daran, las nicht nur Jünger und Remarque, die Standardwerke. Er recherchierte in Militaria-Foren, merkte, dass er mit dem Setting nicht unbedingt offene Türen bei Verlagen einrennt, aber egal: Nun ist er sehr froh über die positiven Rückmeldungen, die er bisher schon bekommen hat. Für einen Roman, der in keiner Zeile so klingt, als hätte ihn ein Werbetexter geschrieben (das kann Schwarz aber auch).

Für viele seiner Altersgenossen war der Zweite Weltkrieg immer präsent, im Fernsehen, in der Schule, in Opas Erinnerungen. Der Erste Weltkrieg „ohne dessen riesigen Impact es den Zweiten Weltkrieg nicht gegeben hätte“ (Schwarz) ist eher ein Randthema. Wenn überhaupt.

„Eine Maschinerie des Todes aus Eisen und Feuer überrollt Millionen Soldaten in einem sinn- und endlosen Stellungskrieg, Ernst Jünger nennt es ‚Stahlgewitter’, andere das Urtrauma der modernen Welt, in das sich der junge August im Sommer 1916 begibt. Nichts ahnend, was diese Entscheidung wirklich bedeutet“, so verspricht es der Klappentext. Florian Schwarz mischt Fiktion und Biographisches in „Stichling“. Der damals 17-jährige August – das ist die literarische Version seines Großvaters, August Schwarz, geboren in Ulmen. Der war im Gegensatz zu seinen älteren Brüdern zwar nicht aktiv im Ersten Weltkrieg, das ist Fiktion, also auch sein Einsatz in der Schlacht an der Somme 1916. Aber an die Gespräche mit ihm kann sich Florian Schwarz noch gut erinnern. „Opa erzählt vom Krieg“ – das mag das „OK boomer“ der Generation Golf sein. Andererseits, das fragt sich Schwarz: „Wenn nur die Hälfte von dem stimmt, was ich mir ausgedacht habe – und manches war vielleicht noch schlimmer – wenn du das miterlebt hast, wovon willst du sonst reden?“

Schwarz hat Augusts Erfahrungen in eine bildgewaltige Sprache gepackt, er beschreibt detailliert und präzise, hat aber auch große lyrische Qualität – so kann man im Kapitel „Splitter“ schon mal an Gottfried Benn denken. Schwarz schreibt Zeilen, die wie ein Stachel im Fleisch sind – nicht nur die Spaten-Szene  ist in ihrer Intensität regelrecht schmerzhaft, da läuft im Kopfkino ein Splatterfilm. Für Schwarz ist die Gewalt aber kein Mittel zum Zweck – der Horror des Ersten Weltkriegs wäre ganz ohne sie schwer zu vermitteln. Und, bevor ein falscher Eindruck entsteht: Es gibt in „Stichling“ auch ein Leben jenseits der Schützengräben.

 Stichling (Cover), Roman von Florian Schwarz, Buchfink-Verlag

Stichling (Cover), Roman von Florian Schwarz, Buchfink-Verlag

Foto: Buchfink-Verlag/Illustration: Stefan Weyer

Schwarz greift ein Thema auf, das in den letzten Wochen auch international wieder in den Blickpunkt rückte – dank des Erfolgsfilms von Sam Mendes, „1917“, der unter anderem bei den Golden Globes abräumte. Im Film sollen zwei Soldaten der British Army an der Westfront einen dringenden Befehl in die vorderste Reihe bringen. „Der Film macht das selbe Narrativ auf, an ähnlicher Stelle, nur auf der anderen Seite des Kriegs: zwei junge Kerle, die auf ein Himmelfahrtskommando geschickt werden. Der Plot ist sehr ähnlich“, sagt Schwarz, dessen Roman aktuell auch in Trierer Oberstufen-Kursen gelesen wird. Das sei „sehr gut gemacht, extrem dicht, klaustrophobisch“: „Was passiert ist, kannst du nicht mehr aus erster Hand erfahren – alle Zeitzeugen sind inzwischen tot.“ Einen bleibenden Eindruck, wie unmenschlich schon der Erste Weltkrieg war, den vermittelt „Stichling“ allemal.

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