Den Strauss-Impuls wieder aufgegriffen

Trier · Der Dirigent Clytus Gottwald hat zahlreiche Chorkompositionen uraufgeführt. Im Konzert des NDR-Chors am Samstag, 25. Juni, in der Trierer Jesuitenkirche präsentiert er sich als Bearbeiter von Liszt und Mahler. Dabei erklingen zwei seiner Liszt-Transkriptionen zum ersten Mal. Mit Gottwald sprach TV-Redakteur Martin Möller.

Die Arbeit der Rundfunkchöre wird meist in den Studios vollzogen, was ihren Bekanntheitsgrad begrenzte.
Jetzt suchen die hochqualifizierten Profichöre der Rundfunkanstalten verstärkt die Konzert-Öffentlichkeit. Am kommenden Samstag, 25. Juni, 20 Uhr, musiziert der NDR-Chor unter Leitung von Philipp Ahmann Chormusik von Nystedt, Ligeti, Brahms sowie Vokal- und Instrumentalkompositionen von Liszt und Mahler in Übertragungen für Chor von Clytus Gottwald. TV-Redakteur Martin Möller sprach mit dem angesehenen Vertreter Neuer Musik.

Herr Gottwald, der NDR-Chor singt am 25. Juni in Trier unter anderem Kompositionen von Liszt und Mahler, die Sie für Chor bearbeitet haben. Müssen wir uns mit Bearbeitungen begnügen, weil den Komponisten nichts mehr einfällt?

Gottwald: Es ist auffällig, dass nach dem Abtreten der Generation Stockhausen-Ligeti-Kagel das Interesse der nachfolgenden Komponisten an Chormusik erlahmt ist. Das ist insofern zu beklagen, als damit ein wichtiger Impuls für die Fortentwicklung der Chormusik insgesamt verloren gegangen ist. Da ich kein Komponist bin, habe ich versucht, durch Transkriptionen diese technologische Lücke zu schließen.

Liszt und Mahler - spielt da das Jubiläumsjahr 2011 mit?

Gottwald: Dass ich mich bei dieser Arbeit mit einer gewissen Vorliebe auf spätromantische Modelle der Zeit um 1900 bezog, hat seinen Grund darin, dass die Komponisten dieser Zeit kaum etwas für Chor a cappella geschrieben haben. Jedoch gibt es eine signifikante Ausnahme. Richard Strauss hat eine Reihe von Chorwerken hinterlassen, in denen er eine andere Klanglichkeit des Chorsingens erfunden hat. Strauss wandte dabei das paradoxe Verfahren an, den Chor wie ein Orchester zu behandeln, die Stimmen gleichsam zu "instrumentieren". Ich habe den Strauss-Impuls wieder aufgegriffen und in vielen Transkriptionen angewendet. Die Jubiläen spielten dabei eine untergeordnete Rolle. Die Mahler-Transkription "Ich bin der Welt abhanden gekommen" entstand schon 1984.

Die Originale sind für Sologesang mit Klavier geschrieben. Was gewinnt diese Musik in den Chorfassungen?

Gottwald: Das ist von Fall zu Fall verschieden. Man muss, wenn man Klavierlieder für Chor umschreibt, die Musik vokalisieren, das heißt ihre oft vertikale Konstruktion in eine horizontale auflösen. Dadurch wird Musik, obwohl es die gleiche Musik ist, zu einer anderen. Liszt ist in vielen seinen Transkriptionen einen anderen Weg gegangen. Er konzentrierte Opernmelodien oder Klavierlieder auf den begrenzten Klangraum des Klaviers. Aber auch für Liszt gilt: dasselbe, aber immer anders.

Herr Gottwald, die Neue Musik ist in die Kritik geraten. Es geschehe nichts Weltbewegendes mehr. Welche Zukunft sehen Sie für das Komponieren?

Gottwald: Dass der Kreis der Neuen Musik ausgeschritten sei, kann man schon bei Ligeti nachlesen. Folgt man dem amerikanischen Theoretiker Thomas S. Kuhn, so ist die Neue Musik aus der Phase der Revolution in jene der Exegese, des Ausbaus übergegangen. Was heute komponiert wird, sind Kommentare zu "Pli selon pli" oder "Gruppen", also zu Boulez oder Stockhausen.

Wenn Laienchöre Interesse an Neuer Musik entwickeln - was würden Sie ihnen zum Einstieg empfehlen?

Gottwald: Meine Transkriptionen.
Das Konzert ist am Samstag, 25. Juni, 20 Uhr, in der Jesuitenkirche in Trier.

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