Der alltägliche Wahnsinn der Macht

MALBERG. Er ist ein Zeitzeuge und Chronist deutscher Geschichte: Erich Loest. Im Rahmen des Eifelliteratur Festivals las er in der Schlosskapelle von Malberg.

Viele Herren hat die Kapelle von Schloss Malberg kommen und gehen sehen. Die kleinen Heiligen von einst sind längst ins zweite Glied zurückgetreten. Statt dessen haben quasi als Vorgänger der Spaßgesellschaft die neckischen Herren und Damen des Rokkoko unten im ehemaligen Kirchenschiff Stellung bezogen. Da stehen sie nun Spalier für einen, dessen Bücher gar nichts Spaßiges haben, dafür viel mehr vom ganz alltäglichen Wahnsinn der Macht und ihrer großen und kleinen Erben: Erich Loest. Erich Loest - wie er da oben auf dem Podium sitzt und darauf besteht, auf die Minute pünktlich seine Lesung anzufangen - ist selbst Wort gewordene deutsche Geschichte. Das empfinden auch die Zuhörer im Saal, die ihn mit ihren Fragen regelrecht examinieren. Zugegeben: Viele Male hat Loest seine Idee von der Welt für die Welt selbst genommen und ist daran gescheitert: "Ich habe jede Menge Fehler gemacht." Ein Ritter von der traurigen Gestalt wurde er dennoch nicht. Gerade gestanden und bezahlt hat er für seine Irrtümer - unter anderem mit sieben Jahren Zuchthaus und einer Rundum- Überwachung durch die Stasi. Nicht zuletzt das überzeugt. Und wenn er jetzt im TV -Gespräch sagt: "Ideologien und fundamentalistische Träume führen zu nichts", dann ist er selbst Beleg genug. Auch anderes führt zu nichts. Beim Stichwort "Ost ist Kult" wird der Leipziger Schriftsteller zum zornigen Kritiker gegenwärtiger Unkultur. Von der neuen "Ostalgiewelle", die 40 Jahre Diktatur auf Schrebergartenniveau boulevardisiert, hält Loest gar nichts. "Reine Quotengeilheit", wettert der Autor. "Die DDR ist nicht unterhaltsam. Wer hier seine Verantwortung nicht wahrnimmt, sind die Rundfunkräte." Dass PDS-Chef Lothar Bisky mit auf der Nostalgiewelle schwimmt, hältLoest für vergebliche Liebesmüh. "Umfragen zeigen, dass solche Sendungen der PDS keine neue Wähler bringen. Auf so billige Maschen fallen die Leute nicht rein." Die neue Wahlheimat manch alter SED-Genossen ist für den Schriftsteller ein ganz entschiedenes Hindernis im deutschen Einigungsprozess. "Solange die PDS noch 20 Prozent hat, ist die Einigung nicht vollzogen." Ansonsten findet der Mann, der sich noch vor nicht allzu langer Zeit fremd im eigenen Land gefühlt hat, dass Deutschland immer enger zusammenrückt. Bei den jungen Leuten sei kein Unterschied mehr zwischen Ost und West zu spüren. Auf den Austausch nicht nachzuholender Erfahrungen sei dagegen die ältere Generation angewiesen. "Für uns Ältere hier im Osten bedeuten die 68er Jahre die Niederschlagung des Prager Frühlings oder die Sprengung der Leipziger Universitätskirche. Im Westen erinnert man sich dagegen daran, dass Joschka Fischer Steine geworfen hat." Nicht alle sind bereit, beherzt zurückzublicken wie ErichLoest. Dass die DDR im Geschichtsunterricht mancher neuer Bundesländer nicht mehr vorkomme, wie ein Soziologe in Halle unlängst feststellte, habe naheliegende Gründe. "Ein Teil der Lehrer kommt noch aus der alten DDR." Die ist auch in Erich Loests neuem Buch präsent. Aus "Der vierte Zensor" liest er denn auch in Malberg. Loest selbst hat inzwischen seinen streitbaren Frieden mit der alten Heimat gemacht. "Ich lebe gerne in Leipzig. Ich habe meine Freunde da und meine Feinde. Ohne die wäre es langweilig." Manchmal sei er etwas niedergeschlagen, wenn mal wieder eine neue Stasi-Akte über ihn auftauche. Aber dann erinnert sich der Autor wieder ganz schnell daran, was sich die politischen Häftlinge einst im Zuchthaus Bautzen geschworen hatten: "Niemand soll uns dahin bringen, unsere eigene Galle zu fressen." Was anders sei in Ost- und Westdeutschland, will am Ende eine Zuhörerin wissen. "Dass das Publikum so freimütig plant", antwortet Loest.

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