Der Altmeister kam, sang und siegte

Es wurde nicht das größte Trier er Open Air seit dem Auftritt von BAP 1991. Lionel Richie spielte nicht vor 10000 Fans im Waldstadion, sondern vor 4500 in der Arena. Doch auch in der Halle herrschte pure Begeisterung. Der Altmeister des Soul und Pop war in Form.

Ingo Popp und Petrus sind im Moment nicht die besten Freunde. Es scheint so, als habe der Wetterpatron die Pläne des Trierer Konzertveranstalters bewusst sabotiert. Zuerst ließ Petrus es wochenlang wie aus Eimern schütten, verwandelte das Waldstadion in einem Sumpf und zwang Popp, den Soul-Weltstar Lionel Richie, einen der absoluten Giganten der Musikszene und gefragtesten Künstler der 80er, in die Arena zu verlegen. Dann schaltete Petrus am Konzertwochenende ruckartig in den Hochsommer-Modus um - und viele potenzielle Richie-Fans fragten sich, was sie denn bei einer Außentemperatur von 35 Grad in einer recht heißen und stickigen Großraumhalle verloren haben.Um diesem Szenarion die Krone aufzusetzen, präsentierte sich Lionel Richie in einer großartigen Form und Spielfreude, die auch eine fünfstellige Zuschauerzahl gerechtfertigt hätte. Am Ende waren es 4500 - das reicht für eine volle Arena. Doch hier wäre viel mehr drin gewesen, wenn das Wetter mitgespielt hätte. Das halten auch die Nerven eines erfahrenen Veranstalters nicht aus. Ingo Popp eröffnete den Sonntagabend in der Arena mit den Worten: "Es tut mir Leid, dass die Sonne scheint. Ich wünsche all diejenigen zur Hölle, die ihre Karte zurückgegeben haben."Wie viele das waren, will Popp Concerts nicht verraten. "Es hielt sich in Grenzen", sagte Mechthild Schneiders gestern vorsichtig.Vierstündiges Vorspiel

Also ab in die Arena. Es war schnell offensichtlich, dass man ein Open Air nicht einfach in ein Hallenkonzert verwandeln kann - die Charakteristika beider Veranstaltungstypen sind zu unterschiedlich. Die stundenlange Beschäftigung mit mehreren Vorbands ist unter freiem Himmel verbunden mit Sonnenbädern, Gesprächen, gelegentlichen Besuchen des benachbarten Bierstandes und einem allmählichen Aufbau der Vorfreude auf den Star des Abends. In geschlossenen vier Wänden ist eine fast vierstündige Vorspielphase eine riskante Angelegenheit. Deshalb hatte die Frankfurter Kombo Candycream - sie lieferte solide, aber keineswegs herausragende Arbeit ab - auch wesentlich weniger Zuhörer als Lionel Richie.Danach kam Stefan Gwildis. Er hatte bessere Karten als seine Vorgänger, die in der dicksten Nachmittagshitze ran mussten. Das Publikum in der Arena wurde zum ersten Mal an diesem heißen Sonntag wirklich lebhaft, als Gwildis eine seiner deutschen Neubearbeitungen von Soul-Klassikern präsentierte, die seinem Album "Neues Spiel" 2003 zum bundesweiten Durchbruch verhalfen. Mit "You can leave your hat on" begleitete Joe Cockers Stimme den langsamen Strip einer damals noch jungen Kim Basinger in "Neuneinhalb Wochen". Gwildis machte daraus "Lass doch ruhig den Hut an". Das Publikum ging mit.Richtig voll wurde die Arena erst gegen 20.30 Uhr. Lionel Richie kam, sang und siegte. Sein Repertoire ist derart umfassend, dass mehrere Generationen seine Songs Zeile für Zeile mitsingen können. Mit "Easy" und "Three Times a Lady" schrieb er in den 70ern die größten Hits der Commodores. In den 80ern wurde er zu einem der erfolgreichsten Künstler der Musikgeschichte: Allein sein Album "Dancing on the Ceiling" bestand nur aus Superhits.Anheizer und Komödiant

Der große alte Herr war ganz nah dran an seinen Fans. Er spulte kein Routine-Programm ab, sondern spielte den Entertainer, Anheizer, Komödianten.Lionel Richie spielte auf den Emotionen des Publikums ebenso gekonnt wie auf den Tasten seines Pianos und kündigte die Hits, die die Fans hören wollten, in lockeren Plaudereien an - "I could do this all night long." Diesen Song, "All Night Long", sang er 1984 bei den Olympischen Spielen in Los Angeles vor 2,3 Milliarden Fernsehzuschauern.Die Vitalität und musikalische Emotionalität der Richie-Songs brachten das als eher zurückhaltend bekannte Trierer Publikum zum Toben. Bei "Running with the Night" und vor allem "Dancing on the Ceiling" bebte die Arena.Richies Humor und Spielfreude wurden im Verbund mit seiner hervorragenden Band zu einem Gesamterlebnis, das auch Anhänger anderer Musikrichtungen nur als absoluten Gewinn interpretieren konnten. Man kann nur mit leisem Bedauern darüber spekulieren, was für ein geniales Spektakel dieser Mann im Waldstadion angerichtet hätte.

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