Der böse Schattenwolf geht heim

Trier · Die Welt der lauten Musik nimmt Abschied von einem ihrer Größten. Lemmy Kilmister, Gründer und Sänger von Motörhead, ist tot. Er starb am 28. Dezember. Die Ursache seines Todes ist laut offizieller Mitteilung der Band ein aggressiver Krebs. Lemmy wurde an Heiligabend 70 Jahre alt.

Trier. "Aber genau so mag ich es, Baby. Ich will nicht für immer leben." Eine Zeile aus "Ace of Spades", dem wahrscheinlich bekanntesten und wichtigsten Song von Motörhead. "But that's the way I like it, Baby. I don't wanna live forever." Lemmy singt von der Ekstase und dem Fatalismus des Spielers, der sein Blatt ausreizt und die Würfel rollen lässt, auch wenn er genau weiß, dass er am Ende verlieren wird. Eine klare und ehrliche Selbstreflexion. Genau so hat der Brite gelebt. Hart, schnell, laut. Dass er tatsächlich 70 Jahre alt wurde, hat sehr viele Menschen erstaunt. Ihn selbst wahrscheinlich auch.Der Hüne von einst


Motörhead gehört zu den wenigen handverlesenen Phänomenen der Musikindustrie, deren Wert und Qualität als unantastbar gelten und deren Präsenz und Beliebtheit auch im hohen Alter nicht geringer wurden. Im Juni spielte das britische Trio in der Rockhal in Luxemburg. Lemmy, der Hüne von einst, der böse Schattenwolf, war zum schmalen Männchen geworden, seine Stimme war kaum noch vorhanden. Doch hätte auch nur ein einziger Zuschauer es gewagt, einmal kurz Buh zu rufen, hätte eine rasende Meute ihn gelyncht.
Lemmy hat Motörhead 1975 gegründet und die Welt des Rock und Metal bereichert und verändert. Dabei war er nie einer der Metal-Krieger dieser Zeit. Mit minutenlangen Soli, Texten über keltische Krieger und große Schlachten oder dämonischen Bühnenoutfits hatte er nichts am Hut. Seine Musik war von Beginn an eine Art Hardcore Rock'n'Roll, den er mit dem Bass im Arm und dem Kavalleriehut auf dem Kopf in die Menge röhrte.
Mit den Alben "Overkill", "Bomber" und "Ace of Spades" (1979 und 1980) schufen Lemmy und Motörhead schon früh ein Lebenswerk, das auch 2015 kein Jota seiner Kraft verloren hat. Es sind die Songs dieser Alben, die in die Synapsen mehrerer Generationen von Rockfans eingebrannt sind. Songs, die von der Welt als einem bösen Ort erzählen. Du musst dich stellen und kämpfen, sagen sie. Immer wieder.
Lemmy selbst war die optimale Verkörperung seiner Botschaften. Der irre Backenbart, die riesigen Warzen, die Tattoos - der Antichrist hätte neben ihm gewirkt wie Micky Maus.
Der Lebensstil entsprach diesem Outfit. Lemmys Alkoholkonsum war derart intensiv, dass er sich der Legende nach sogar mit Bourbon die Zähne putzte. Drogen - klar. Jede Menge, alle Sorten. Bis auf Heroin. Das hat Mr. Kilmister immer verurteilt.
Also ein ständig besoffener Irrer, der einfach Glück hatte und zum Idol anderer ständig besoffener Irrer wurde? Oh nein. Wenn ein Interviewer es geschafft hatte, zu ihm durchzudringen, offenbarte Lemmy starke Überzeugungen, Ideale von Moral und Menschlichkeit und ein breites Politikverständnis. Und jede Menge Humor. Viele seiner Bonmots werden in diesen Tagen auf allen Kanälen laufen. Oft greifen sie das an, was Lemmy als organisierte Religion bezeichnete und ablehnte. Andere sind einfach nur zum Brüllen komisch. Ein Beispiel: "Damals war es bei den Fans in, Haarlocken von seiner Band zu bekommen. Wenn du noch nie vierzig grimmige Mädchen gesehen hast, die Scheren in den Händen halten und sich auf dich stürzen, weißt du nicht, wovon ich spreche."
Jetzt ist Lemmy weg. Was ist zu tun? Die Band selbst gibt den besten Rat: "Spielt Motörhead laut und nehmt einen Drink."Extra

Lemmy Kilmister stand mit Motörhead bis zu seinem Tod mit 70 Jahren auf der Bühne. Andere in seinem Alter rocken weiter. Einige Beispiele: Rolling Stones: Frontmann Mick Jagger ("I Can't Get No Satisfaction") wirbelt auch mit 72 Jahren noch in hautengen Hosen über die Bühne. Für das kommende Jahr kündigten die Stones bereits eine Stadion-Tournee durch Lateinamerika an Gitarrist Keith Richards (72): "Niemand hat es so lange gemacht wie wir." Deep Purple: Das Hardrock-Quintett ("Smoke on the Water") bringt zusammen fast 330 Jahre auf die Bühne. Neben Sänger Ian Gillan (70) sind auch seine Mitstreiter aus den 1970er Jahren, Bassist Roger Glover (70) und Schlagzeuger Ian Paice (67), immer noch dabei. Black Sabbath: Die Rocker um den inzwischen 67 Jahre alten Frontmann Ozzy Osbourne ("Paranoid") haben für 2016 ihre Abschiedstournee angekündigt. Ob sich Ozzy und seine Bandkollegen seit viereinhalb Jahrzehnten, Tony Iommi (67) und Geezer Butler (66), damit ganz von der Bühne verabschieden, bleibt offen. Jethro Tull: Ian Anderson (68), Kopf der 1967 gegründeten Band ("Locomotive Breath"), brachte die Querflöte in die Rockmusik. Auch wenn es um den Mann mit den langen roten Locken etwas ruhiger wurde, hat er die Bühne nie verlassen. Er spielt weiterhin die alten Hits - allerdings oft mit Stirnband über dem schütteren Haarkranz. dpaExtra

Lemmy Kilmister: - wurde geboren an Heiligabend 1945 im englischen Stoke-on-Trent als Ian Fraser Kilmister. - flog mit 15 ohne Abschluss von der Schule. - war Roadie bei Jimi Hendrix und brachte Sid Vicious (Sex Pistols) das Bassspielen bei. - will mit etwa 1000 Frauen geschlafen haben. - wurde aus der Band Hawkwind geworfen, weil er an der kanadischen Grenze mit der Droge Speed erwischt worden war, und gründete daraufhin 1975 Motörhead. - saß bei Interviews häufig vor einem Spielautomaten. - war nie verheiratet, hat zwei Söhne (Sean und Paul). - bezeichnete Motörhead immer als dreckige Rock'n'Roll-Band (Legendärer Spruch zur Begrüßung des Publikums: "We are Motörhead, and we play Rock'n'Roll"). - lebte seit 1990 in Los Angeles. - litt seit 15 Jahren an Diabetes. - bezeichnete einen Mix aus Jack Daniels und Cola als seinen Lieblingsdrink. - erhielt seine Krebsdiagnose am zweiten Weihnachtsfeiertag, zwei Tage vor seinem Tod. jp

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