"Der Druck muss von unten kommen"

Trier · Frank-Markus Barwasser kommt mit seinem neuen Programm "Pelzig stellt sich" nach Trier. Im TV-Interview spricht er über die Rolle des Kabaretts in Zeiten der großen Koalition - und verrät, was Erwin Pelzig in seiner Handtasche verstaut.

Trier. Das Cordhütli trägt er ein bisschen schief - aber die Pointen sitzen: Frank-Markus Barwasser gehört zu den besten Kabarettisten der Republik. Und zu den besten Interviewern sowieso: In der ZDF-Sendung "Pelzig hält sich" lockt er seine Gesprächspartner zuverlässig aus der Reserve. Eine nicht unwesentliche Rolle spielt dabei seine geheimnisvolle Bowle. Die bietet sich gut für den Gesprächseinstieg an, findet TV-Redaktionsmitglied Christophe Braun.

Herr Barwasser, haben Sie schon mal Viez probiert?
Frank-Markus Barwasser: Was soll ich probiert haben?

Viez.
Barwasser: Nein. Nie gehört. Was ist das?

Ein saurer Apfelwein aus dem Moselfränkischen.
Barwasser: Aha. Wie kommen Sie darauf?

Von der Bowle, die Sie Ihren Gästen bei "Pelzig hält sich" servieren, heißt es, sie sei pervers, magisch, enthemmend und furchtbar. Da dachte ich: Am Viez würden Sie bestimmt auch Gefallen finden.
Barwasser: Schmeckt das so schlimm? Dann werde ich es natürlich probieren. Und vielleicht damit meine Bowle verfeinern.

Am 15. Dezember kommen Sie, beziehungsweise Ihr Alter Ego Erwin Pelzig, nach Trier. Pelzig, das ist ein fränkischer Kauz mit Karohemd, Cordhütli und Herrenhandtasche ...
Barwasser: Klar, wenn man den sieht, hat man gleich so ein Bild im Kopf ...

Der Spießer mit Gartenzwerg-Farm, der Sonntagsfahrer, der Kehrwochen-Tyrann ...
Barwasser: ... und das Klischee breche ich vollkommen. Ein Journalist schrieb mal, der Pelzig sei so eine Art Wiedergutmachung am vielgescholtenen kleinen Mann. Das gefällt mir.

Pelzig glaubt, dass man an den Zuständen noch etwas ändern kann. Er regt sich auf über alles, was schiefgeht - vom Klimawandel über Rüstungsexporte bis zu Billiglöhnen und Korruption.
Barwasser: Pelzig will sich eben nicht abfinden. Aber letztlich stellt er bloß Fragen - Antworten bietet er nicht im Sinne des Besserwissers. Da halte ich es mit Ottfried Fischer: Der hat mal gesagt, die Aufgabe des Kabarettisten sei nicht die Auflösung des Widerspruchs, sondern seine Benennung. Ich halte es auch für die größere Herausforderung, die richtigen Fragen zu stellen, als auf alles eine Antwort liefern zu können.

Ist die Verzweiflung der ständige Begleiter des Kabarettisten?
Barwasser: Dazu kann ich eine kleine Geschichte erzählen: Vor einiger Zeit habe ich sehr viel recherchiert, über alle möglichen schlimmen Sachen. Eines Abends war ich dann mit Freunden essen. Alle waren guter Laune. Der eine bestellte ein 500-Gramm-Steak, der nächste kam gerade von einem Barcelona-Trip mit Ryanair, und der dritte hatte eine neue Lederjacke. Ich habe nur die Probleme gesehen: Umweltverschmutzung, Tierquälerei, Ausbeutung, und so weiter. Es hat eine Weile gedauert, dann musste ich über mich selbst lachen. Da habe ich gemerkt, dass mir die Distanz verloren gegangen war. Die braucht es aber unbedingt. Ich beschäftige mich mit schwierigen und manchmal deprimierenden Dingen, aber ich will dabei nicht verbittern.

Kann man Verzweiflung weglachen?
Barwasser: Eindeutig, ja.

Uns stehen vier Jahre große Koalition bevor. Die Opposition ist schwach wie selten. Was bedeutet das fürs politische Kabarett?
Barwasser: Das ist jetzt gefordert, weil es nur noch eine Mini-Opposition im Parlament gibt. Wir müssen die Regierungsgeschäfte noch liebevoller begleiten. Liebevoll im Sinne von detailverliebt.

In Ihrem neuen Bühnenprogramm geht es um Widersprüche.
Barwasser: Es geht um die sogenannte kognitive Dissonanz. Das ist ein Begriff aus der Sozialpsychologie. Der beschreibt den Zustand eines Menschen, der gleichzeitig mehrere, einander widersprechende Auffassungen hat und sich diese Dissonanzen irgendwie hinbiegen muss, um seine eigene widersprüchliche Handlungsweise zu rechtfertigen. Das gibt es in der großen Weltpolitik genauso wie im Alltäglichen.

Wenn Einer grün wählt, aber mit dem Billigflieger in den Urlaub fliegt?
Barwasser: Genau. Oder wenn einer jeden Zahnstocher bei Amazon bestellt und dann mault, wenn der unterbezahlte DHL-Liefermann morgens die Einfahrt blockiert. Oder der Mensch, der sagt, er geht nicht mehr wählen aus Angst vor Enttäuschungen, aber seit 30 Jahren Lotto spielt.

Erlauben Sie mir zum Abschluss eine Indiskretion: Was bewahrt Pelzig in seiner Handtasche auf?
Barwasser: Früher nur einen Flaschenöffner und ein Päckchen Aspirin. Inzwischen auch Kugelschreiber, Taschentücher und Halspastillen. Und zwischen den Auftritten verwahre ich dort auch die Kontaktlinsen. Denn Pelzig mit Brille, das ist für mich undenkbar. Ich darf altern, Pelzig darf es nicht. Er ist es schon genug. cnb
Barwasser tritt am Sonntag, 15. Dezember, um 20 Uhr in der Europahalle Trier auf. Karten gibt es im TV-Service-Center, unter der TV-Tickethotline 0651/7199-996 sowie unter www.volksfreund.de/ticketsExtra

Ministerpräsidentin Malu Dreyer war am Dienstag bei "Pelzig hält sich". Anfang etwas nervös, lieferte sich Dreyer danach mit Pelzig ein kurzweiliges Wortgefecht. Der Kabarettist lud Dreyer daraufhin zu seinem Trier-Auftritt ein. "Dürfen Sie die Einladung überhaupt annehmen?", wollte er von Dreyer wissen. Sie nickte, sagte aber dennoch ab: "Da feiert meine Mutter ihren 80." sey

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