Der Duft von Woodstock

TRIER. 500 000 Besucher waren dermaleinst in Woodstock, knappe 500 wollten die Helden von damals – oder was davon übrig ist – bei frostigen Temperaturen auf der Sommerbühne des Trierer Exhauses erleben. Ein Wiedersehen mit gemischten Gefühlen, aber lohnenswert. Der TV präsentierte das Konzert.

Bei Rockbands der sechziger und siebziger Jahre gibt es normalerweise eine verlässliche Größe: Ihre Verspätung. Aber wer sich auf alte Gewohnheiten verlässt und um 19 Uhr, eine Stunde nach Einlass-Beginn, im Exhaus eintrudelt, den bestrafen die städtischen Lärmschutz-Richtlinien. Schlag Elf ist Feierabend, Legenden hin oder her. Und so muss der ewige Grateful-Dead-Hippie Paul Constanten, der so aussieht, als hätte er seit Woodstock keinen Friseur mehr gesehen, pünktlich um 18 Uhr ran. Und auch Iron Butterfly ist um 19 Uhr wieder im Bus, was dem Publikum die Erkenntnis beschert, dass selbst ein Rock-Mythos wie "In-a-gadda-da-vida" seine Wirkung am helllichten Spätnachmittag auf nüchternen Magen und unbedröhnten Kopf nur mühsam entfaltet.Freakige Gestalten neben Hochschulvizepräsidenten

Das Publikum ist bunter gemischt als etwa beim Manfred-Mann-Gastspiel an gleicher Stelle. Freakige Gestalten stehen neben Hochschul-Vizepräsidenten und Museumsdirektorinnen, mancher hat auch seinen Nachwuchs mitgebracht - mal schauen, was dran ist an den "Kamerad-weißt-du-noch-Erzählungen" der Alten von der alternativen 68er-Front. Derweil hängt an der Bühne ein Banner im Look der Woodstock-Ära. "Boogie with Canned Heat" steht darauf, und die Mannen um Drum-Veteran Fito de la Parra spielen auf, als hätten sie den Blues gerade erst erfunden. Kraftvoll rollen die Hitzewellen ins Publikum, angefacht von Gitarrist und Sänger Dallas Hodge. Unten klatscht man nicht nur, um die erkalteten Finger zu wärmen. Es sind die namenlosen Blues-Titel, die das Konzert tragen - die aufgewärmten Klassiker von "On the road again" über "Going up the country" bis "Let's work together" dürfen zwar nicht fehlen, klingen aber eher matt. Was auch damit zu tun haben dürfte, dass Stanley Behrens als Saxophonist eine weitaus bessere Figur macht als beim typischen Fistel-Gesang. Eine Stunde Heat - das hebt die Trinklaune und weckt das Bedürfnis nach Grill-Gut. Aber das jugendliche Service-Personal kennt sich offenbar besser mit Mixery-Dosen und Big Macs aus als mit Zapfbier und Bratwürsten, was trotz spärlicher Kulisse für Engpässe sorgt. Oder sollte ein gewiefter Veranstalter zwecks Herstellung von Original-Woodstock-Feeling die Versorgungslage dem Standard auf dem berühmten Wiesengelände von Bauer Max Yasgur angepasst haben? So oder so: "Ten Years After" bleiben bei ihrem Auftritt keinen Deut hinter der Qualität von einst zurück. Das Ur-Trio Leo Lyons, Ric Lee und Chick Churchill hat sich mit Joe Gooch einen grandiosen Nachwuchs-Gitarristen geholt, dem die Stiefel von Alvin Lee keinen Millimeter zu groß sind. Wie im Fieberwahn zelebriert er die genialen Riffs von "Good morning, little schoolgirl" oder "Love like a man". 28 ist der junge Mann, war also selbst vom embryonalen Zustand noch Jahre entfernt, als Lee mit seiner musikalischen Kreativität eine ganze Generation von Gitarristen prägte. Kreativ waren einst auch Jefferson Airplane, Titel wie "Somebody to love" und "White rabbits" sind Meilensteine der Rockmusik. Aber ihr Exhaus-Auftritt als Jefferson Starship bleibt blass. Der Sound klingt suppig, Sängerin Diana Mangano und Urgestein Paul Kantner wirken routiniert, zünden selten Funken beim Publikum. Dafür zündet sich, spät und in sicherer Dunkelheit, doch noch der eine oder andere sein Pfeifchen an. Der Duft von Woodstock lässt grüßen.

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