Der einsame Tod im Kohlenkeller
Trier · Ganz große Oper ohne Plüsch, mit spannenden Bildern und grandiosen Stimmen: Die neue Produktion von "La Traviata" riss das Publikum im Trierer Theater bei der Premiere am Samstag zu minutenlangen Beifallsstürmen hin.
Trier. Sie ist ganz unten angekommen, die einst so strahlende Violetta Valery. Sie haust im Kohlenkeller, ausgesondert von der Bussi-Bussi-Gesellschaft, zu deren Stars sie einst gehörte. Noch vor ein paar Monaten war sie eine Art Mode-Ikone, eine jener "B-Promis", die im Fernsehen heutzutage Stammgäste bei "Brisant" oder "Leute heute" wären.
Zahllose bedeutende Männer haben sich mit ihr geschmückt, die Autogramme berühmter Womanizer aus Politik und Kunst prangten auf der Fassade ihres Hauses. Und sie hat ganz gut davon gelebt. Bis ihr die Liebe und die Krankheit dazwischenkamen - zwei Faktoren, die unverträglich sind mit der Lebensart der Schönen, Reichen und Käuflichen. So wird aus der "femme publique" im transparenten Kleid eine Verstoßene, deren Sterben vom mitleidlosen Neonlicht eines Kellerlochs beleuchtet wird.
Da haben Regisseurin Birgit Scherzer und das Bühnenbildner-Duo Gerd Hoffmann/Arlette Schwanenberg nichts, aber auch gar nichts übrig gelassen von der anrührenden Gemütlichkeit des Elends, das traditionelle Traviata-Inszenierungen prägt. Was man in Trier auf der Bühne sieht, tut richtig weh. Es ist der Untergang einer Frau, die es einen Moment lang gewagt hat, aus ihrer Rolle zu fallen, Gefühle zuzulassen, und die dafür teuer bezahlt.
Am Ende zieht sie sich zurück in ihre eigene Welt, ist weit entrückt, nicht mehr erreichbar. Was, paradoxerweise, sogar etwas von einer Erlösung hat.
Das klingt nach Regie-Furor, aber im Kern ist Scherzers Inszenierung durchaus konventionell. Die Solisten haben reichlich Raum, um zu spielen und klar umrissene Charaktere zu zeichnen. Gebrochen wird die Handlung immer wieder durch die Bilder-Welten, oft mit einem surrealen Einschlag, besonders in den Kostümen von Gera Graf. Man muss es so deutlich sagen: Es ist ein Wunder, was die Ausstatter mit dem Mini-Budget auf die Beine gestellt haben. Große Seelenräume, in denen man sich stets wechselseitig beobachtet, für eine Gesellschaft von Voyeuren, der man erst im Tod entrinnt.
Fulminantes Debüt
Traumhaft, wie Adréana Kraschewski Scherzers Vorlagen für ein fulminantes Traviata-Debüt nutzt. Anfangs fast zurückhaltend, wächst die Intensität mit jeder neuen Seite der Violetta, die sie aufblättert.
Ihre Szenen sind kleine Meisterwerke, was das musikalische Ausdrücken von Gefühlen angeht. Wenn sie kommendes Unheil in ihrer Stimme schon ahnen lässt, wenn sie bei ihrer Abschiedsarie den letzten Ton wie einen endlosen Faden spinnt und leise verlöschen lässt: Das ist ganz großes Kino. Zum Glück steht ihr mit Svetislav Stojanovic ein Tenor zur Seite, für den die Rolle genau zum richtigen Zeitpunkt kommt. Der Alfredo Germont liegt ihm gut in der Stimme, die sich schön blühend nach oben öffnet und überreichlich jene Menge an Schmelz und Brillanz bietet, die das italienische Fach braucht. Nur die Krafteinteilung stimmt noch nicht: In der ersten Hälfte gibt er zu viel Gas, was am Ende spürbar an den Kräften zehrt.
Dennoch eine klasse Besetzung, so wie Amadeu Tasca als Vater Germont, der kultiviert und mit schönem Timbre singt, auch wenn die Stimme aufgrund des jugendlichen Alters noch eine Spur Fülle und Reife brauchen kann. Dass die Regisseurin mit seiner Rolle so gar nichts anfangen kann, liegt nicht am Sänger. Germont senior wird hier, ganz gegen Verdis Musik, zu einem stieseligen Businessman degradiert, der während des Dialogs mit Violetta SMS-Nachrichten sendet. Verschenkt.
Der Chor ist szenisch stark gefordert, setzt, wo es darauf ankommt, prägnante Akzente und liefert mit dem Orchester ein stabiles Fundament, auf dem die Solisten glänzen können.
Dirigent Victor Puhl schärft mit den Trierer Philharmonikern die Kontraste, baut mit variabler Dynamik Spannung auf und hält seine Truppen mit deutlicher Zeichensetzung beisammen - vom leicht konfusen Finale des zweiten Aktes abgesehen. Die Leistung des kompletten Musiktheater-Ensembles kann sich sehen und hören lassen.
Zum Schluss umtost das Publikum (nicht nur, aber vor allem) Adréana Kraschewski mit für Trierer Verhältnisse euphorischen Beifallsstürmen, erhebt sich im vollen Haus von den Sitzen, um eine gefühlte Viertelstunde stehend zu johlen und zu jubeln. Dem Theater tut das richtig gut.