Kultur Der Herr des Schwalbennests

Trier · Nach einer überraschenden Ernennung ist er jetzt 24 Jahre Domorganist in Trier.

 Ganz entspannt und etwas schelmisch: Domorganist Josef Still im Gespräch. Foto Martin Möller

Ganz entspannt und etwas schelmisch: Domorganist Josef Still im Gespräch. Foto Martin Möller

Foto: TV/Martin Möller

Die Überraschung war groß in der Trierer Kirchenmusik – und beim Betroffenen sehr wahrscheinlich am größten. Kaum ein Beobachter hatte geahnt, dass der Zuschlag für die Nachfolge von Domorganist Wolfgang Oehms im Jahr 1994 ausgerechnet auf einen Musiker fallen würde, der bislang mit Trier nicht das Geringste zu tun hatte. Es war Josef Still – geboren 1959 im niederbayerischen Deggendorf, geprägt vom altbayerischen Katholizismus und damit keineswegs so rheinisch-katholisch wie Oehms und seine Vorgänger.

Umgekehrt war auch Trier für den damals 35 Jahre jungen Still ein unbeschriebenes Blatt. „Ich wusste nur, Trier hat schöne Altertümer und war Römerstadt, das war alles“, sagt Still heute. Selbst Domorganist Wolfgang Oehms war für ihn „kein Begriff“. Hoffnungen auf eine erfolgreiche Bewerbung hatte er sich ohnehin nicht gemacht. „Ich glaubte, da stünden schon die Kronprinzen bereit.“ Aber die Findungskommission, an ihrer Spitze der renommierte französische Organist Daniel Roth, verließ sich nicht auf persönliche Bekanntschaften und berufliche Kontakte. Sie entschied ganz offensichtlich nicht nach Sympathie, sondern nach Eignung.

Ob im Elternhaus des späteren Domorganisten jemand etwas von diesem Lebenslauf geahnt hat? Fest steht: Die Eltern verhielten sich zu den musikalischen Ambitionen ihres Sprösslings wohltuend neutral. Spät, mit erst 16 Jahren begann der, das Orgelspiel zu erlernen. „Dann habe ich Gas gegeben“. 19-jährig begann Still in München mit dem Musikstudium. Franz Lehrndorfer hat ihn als Organisten geprägt, Hedwig Bilgram am Cembalo. Sie vermittelte auch etwas von der Leipziger Bach-Tradition, die durch Karl Richter in München heimisch geworden war.

1983 wurde Still Organist in Neu-Ulm, dem bayerischen Anhängsel des Schwabenlandes. Und weil die einstige Reichsstadt Ulm so verlockend nahe war, nutzte Still jede Gelegenheit, um dort zu musizieren. „Ich habe in jeder Kirche und jedem Konzertsaal gespielt.“ Damit erwarb sich Still einen Fundus an musikalischer Routine, wie sie einfach notwendig ist für einen Organisten, der nicht nur den Gottesdienst begleitet, sondern Konzerte spielen will. Und vielleicht fiel die Wahl auf Josef Still, weil er schon damals beides beherrschte: die Einbindung in die Liturgie und die Brillanz des Konzertierens.

Seine Tätigkeit in Trier war von Anfang an geprägt durch Kontinuität. Aus gutem Grund. Wolfgang Oehms hatte bereits Wegmarken gesetzt – besonders eindrucksvoll mit der großen Schwalbennest-Orgel, die 1974 von der Firma Klais gebaut worden war. Selbstverständlich musste nach ungefähr 30 Jahren das Instrument gereinigt werden, musste das altertümliche Lochkartensystem für Register-Kombinationen durch ein moderneres ersetzt werden. Aber: Es gab keinerlei Grund zu Eingriffen in die Klanggebung des Instruments. „Klais und Oehms waren einfach perfekt. Wir haben nicht das Geringste verändert“, sagt Still. Und fügt eine persönliche Bemerkung hinzu. „Die Orgel klingt am Platz des Organisten schlechter als im Raum. Ich hatte wenig Gelegenheit, die Orgel von unten zu hören.“ Dann allerdings sei er immer wieder begeistert von diesem Klang und dieser Vielfalt an Stimmen und Stimmungen.

Orgel und Orgelmusik gelten bei allen, die davon nichts verstehen, als altmodisch. Zur Vielzahl der Versuche, sie populärer zu machen, bezieht Still mit seinen Dom-Orgeltagen eindeutig Stellung: Keine größeren Bearbeitungen, Zurückhaltung bei der beliebten Besetzung „Orgel plus Melodieinstrument“, Konzentration auf die reiche Orgelliteratur und auf Improvisationen. „Wir wollen die reine Lehre hochhalten“ sagt Still. Und seinem schelmischen Gesichtsausdruck lässt sich ablesen: so schrecklich ernst meint er das nun wieder nicht.

 Ganz entspannt und etwas schelmisch: Domorganist Josef Still im Gespräch.

Ganz entspannt und etwas schelmisch: Domorganist Josef Still im Gespräch.

Foto: TV/Martin Möller

Immerhin: Im Eröffnungskonzert am 15. Mai spielen Still und Ulrich Krupp an zwei Orgeln – der Haupt­orgel im Dom und der Chororgel. Und zum Abschluss am 19. Juni präsentiert Josef Still ein Programm mit der großen Orgelmusik von Franz Liszt. Auch die Programme der vier Gastkonzerte versprechen musikalische Substanz. Adriano Falcioni aus dem italienischen Perugia spielt den Choral „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ in den Versionen von Bach und Reger und sonst nur Bach (12. Juni). Martin Bernreuther aus Eichstätt hat Musik von Bach und dessen unterlegenem Wettbewerbsgegner Louis Marchand im Programm (5. Juni). César Francks großer „Choral“ in a-Moll steht bei Johann Vexo aus Nancy im Mittelpunkt (29. Mai). Und Markus Eichenlaub hat seinem Konzert mit Bach, Karg-Elert und Franz Schmidt den reizvollen Titel „Variations Symphoniques“ mitgegeben (22. Mai). Kommen solche Reihen nach dem Prinzip „Tit for Tat“ zustande – „spielst du auf meiner Orgel, spiele ich auf deiner Orgel“? Josef Still, ganz entschieden: „Ja, das gibt es, aber ich mache da nicht mit“. Er lädt Kollegen ein, deren Qualitäten er entweder persönlich kennt oder über die er aus glaubwürdigen Quellen erfahren hat. Geschadet hat dieser Grundsatz den Orgeltagen ganz bestimmt nicht. Auch nach Jahrzehnten erfreuen sie sich ungebrochener Beliebtheit. Immer noch ziehen die Konzerte rund 200 Orgelfreunde an. Und eine Trendwende ist nicht in Sicht.

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