Der Humorist von Zelle 53

Andreas H. Apelt, auch bekannt als Romanautor, der Umbrüche in der Lausitz thematisiert, hat ein Zeitzeugenbuch herausgegeben. Darin dokumentiert der gebürtige Luckauer, wie Menschen den "Neuanfang im Westen" wagten.

 Günter Georgi hat im Westen Kontakt bis ganz nach oben: Bundesumweltministerin Angela Merkel 1994 in Bonn bei der Eröffnung seiner Ausstellung: „Die Lausitz verändert ihr Gesicht“. Foto: privat

Günter Georgi hat im Westen Kontakt bis ganz nach oben: Bundesumweltministerin Angela Merkel 1994 in Bonn bei der Eröffnung seiner Ausstellung: „Die Lausitz verändert ihr Gesicht“. Foto: privat

Zwischen 1949 und 1989 verließen mehr als 3,5 Millionen Menschen die DDR, schreibt er im Vorwort. Geflohen, ausgereist oder freigekauft. Wie schafften sie es, im Westen Fuß zu fassen? Fanden sie in der Bundesrepublik eine zweite Heimat und wieder Wurzeln? Gelang es ihnen, eine neue Existenz aufzubauen? Fragen, die der Band "Neuanfang im Westen", initiiert von der Deutschen Gesellschaft e.V. unter der Schirmherrschaft von Ex-Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher zu beantworten sucht.
20 Frauen und Männer erzählen darin ihre Geschichte, von ihrem unbändigen Wunsch, einem Angehörigen nah zu sein, der Sehnsucht nach Freiheit und Selbstbestimmung. Und auch davon, welchen Preis sie dafür zu zahlen hatten.
Neben Prominenten wie die Schauspieler Eva-Maria Hagen und Armin Mueller-Stahl sowie der einstige Skisprung-Olympiasieger Hans-Georg Aschenbach ist auch der Zeitzeugenbericht eines gebürtigen Lausitzers zu lesen. Geboren 1928 in Annahütte, erhielt Günter Georgi 1958 eine Haftstrafe wegen "staatsgefährdender Propaganda und Hetze". "Der Humorist von Zelle 53" ist seine Geschichte überschrieben.
Noch als 16-Jähriger wurde er Panzergrenadiersoldat: Nach dem unseligen Krieg kehrte er im Sommer 1945 in seine Heimatstadt Senftenberg zurück. Es wuchs nicht nur die Hoffnung auf ein neues demokratisches Deutschland, sondern auch Lebensfreude flackerte wieder allmählich auf. Als Humorist, Conférencier und Hypnotiseur unterhielt Georgi Jung und Alt. Was ihm Ende 1957 zum Verhängnis wurde. Als man ihn fragte, ob er denn auch den Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht imitieren könnte, bejahte er. Fügte aber hinzu, dass ihn das aber zwei Jahre kosten würde. Dieser Satz, so berichtet Georgi, hatte Strafmaßnahmen zur Folge. Er zitiert aus den Entlassungspapieren beim Rat des Kreises: "Er hat sich durch sein Verhalten auf die Seite derjenigen gestellt, die heute im Westen einen neuen Krieg vorbereiten."
Nach Hilfstätigkeiten kam plötzlich der Haftbefehl und im Juni 1958 die Einlieferung in eben jene Zelle 53 der U-Haftanstalt Senftenberg. Dort sorgte er während seiner 100-tägigen Haft immer noch ein wenig für Stimmung. Und stets mit dem Gedanken und der Hoffnung, eines Tages "bei Adenauer im Westen ein freier Mann zu sein", schreibt er.
Er bekam einen Freispruch, vermutlich weil der Hauptbelastungszeuge in den Westen abgehauen war, glaubt Georgi. Nach der Entlassung gelang es ihm nicht, beruflich wieder Fuß zu fassen. So sah er einen einzigen Ausweg: den Neuanfang im Westen. "Am 9. November 1958 stieg ich gemeinsam mit meiner Frau und den zwei Söhnen in Potsdam in die S-Bahn. Um uns nicht verdächtig zu machen, hatten wir eine Rückfahrkarte nach Senftenberg in der Tasche. Und es gelang. In der ersten Station auf der Westseite Berlins stiegen wir aus", schildert er im RUNDSCHAU-Gespräch den Tag, der ihm ewig im Gedächtnis blieb.
Das Notaufnahmelager Marienfelde schickte die Familie ins Saarland. Hatte Georgi in der DDR Schreibverbot erhalten, war er dort sogleich als freier Presse- und Rundfunkmitarbeiter gefragt. Mit seiner Fotokamera reiste er um die Welt. Und kehrt inzwischen auch immer wieder gern in seine Heimatstadt Senftenberg zurück. Getreu seinem Wahlspruch: "Lass Dir die Fremde zur Heimat, aber nie die Heimat zur Fremde werden."
Andreas H. Apelt: Neuanfang im Westen, Mitteldeutscher Verlag, 239 Seiten, 9,95 Euro.

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