Vinyl der Woche: Closer – Joy Division Der Ian-Curtis-Effekt

Joy Division legte Ende der 70er einen Raketenstart in den Olymp der Punk-Legenden hin. Bis 1980 mit dem tragischen Tod von Frontmann Ian Curtis alles abrupt endete. In der Vinyl der Woche geht es diesmal um Closer, das letzte Album der Band und darum, was Ian Curtis mit AnnenMayKanterei und einer Netflix-Serie verbindet.

 Closer von Joy Division

Closer von Joy Division

Foto: TV/Christian Thome

Bis aus Bands Legenden werden, dauert es keine Jahrzehnte. Das funktioniert in Ausnahmefällen auch in wenigen Jahren. Was das angeht sind Joy Division wohl die Ausnahme-Legenden schlechthin. Und das ist extrem traurig.

Denn leider ist das zweite Studioalbum Closer auch gleichzeitig ihr letztes, es erscheint 1980, zwei Monate vor dem Suizid des genialen Frontmanns Ian Curtis. Nur vier Jahre vorher hatten sich Curtis und seine Schulfreunde auf einem Sex-Pistols-Konzert zu einer Band zusammengeschlossen. Zunächst als Warsaw (eine Anspielung auf den Titelsong des Albums Low von David Bowie), wenig später als Joy Division, erobern die vier Musiker Ian Curtis, Bernard Sumner, Peter Hook und Stephen Morris in Windeseile die Post-Punk-Szene. Ihre Musik: roher Punk und schwerwiegende Texte – angelehnt an das durch Streiks und Arbeitslosigkeit harte Leben im Großbritannien der späten 70er. Das erste Album Unknown Pleasures wird zwar kein kommerzieller Riesenerfolg, dennoch machen sich die Schulfreunde einen Namen in der Szene. Closer soll Joy Division darauf aufbauen.

Und dann? Dann kommt der 18. Mai 1980. Getrieben von Depressionen und der Ungewissheit, ob er wegen seiner Epilepsie weiter performen kann, nimmt sich Ian Curtis das Leben – mit nur 23 Jahren. Sein Tod bedeutet nach nur vier Jahren Bandgeschichte auch das Ende von Joy Division. Und das, obwohl sie mit Closer ein Meisterwerk geschaffen hatten.

Auf Closer erklingt Curtis’ Stimme zum letzten Mal. Der Bass-Bariton schafft es, Hoffnungslosigkeit beinahe romantisch klingen zu lassen. Die Tiefe seiner Stimme und der Texte lässt Unwissende nur schwer glauben, dass da ein 23-Jähriger singt. Einen ähnlichen Effekt – wenn auch in einem anderen Genre – erkennen wir heute bei Henning May von AnnenMayKantereit, bei dessen Songs der Hörer hinter der Stimme eher einen Joe-Cocker-Typen vermutet, als einen Mittzwanziger. Nennen wir diese Pointe ab sofort doch den Ian-Curtis-Effekt.

Das zweite und letzte Joy-Division-Album ist das feinere. Die Songs stammen aus zwei verschiedenen Perioden. Die, die 1979 geschrieben werden, bestechen durch ihren Gitarrendrive. Die später entstandenen konzentrieren sich eher auf den Synthesizer. Closer vereint das beste aus zwei Welten.

Der beste Song der Band schafft es dabei nicht auf das Album: Love Will Tear Us Apart veröffentlichen die übrigen Mitglieder erst nach Curtis’ Tod. Hier kombinieren sie diese beiden Welten perfekt – die „der-ist-doch-nicht-23-Stimme“ des Sängers tut ihr Übriges. Nicht umsonst ziert die Zeile Love Will Tear Us Apart seinen Grabstein in Macclesfield.

Vor einigen Jahren erlebt Joy Division eine Renaissance: In der Netflix-Serie „Tote Mädchen lügen nicht“, die von einem Mädchen handelt, dass sich umbringt, werden immer wieder Songs der Band oder Poster mit Joy-Division-Symbolen eingestreut. Ganz heimlich lernen junge Menschen eine lange zuvor zerbrochene Band kennen.

Gut so. Denn mit Closer hat Ian Curtis (und Joy Division) ein Vermächtnis hinterlassen, das auch 40 Jahre später noch zu den besten Punk-Alben der Geschichte gehört.

In der Serie Vinyl der Woche bespricht der Trierische Volksfreund wöchentlich eine Schallplatte – egal ob Neuerscheinung, Klassiker oder Außergewöhnliches. Alle Serienteile gibt es unter volksfreund.de/vinyl.

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