Der in die Rätsel der Menschen eintaucht

HAMM. Einer der erfolgreichsten und zugleich begnadetsten Erzähler der jungen deutschen Literaturgarde war beim Eifel Literatur Festival zu Gast. Vor ausverkauftem Haus las John von Düffel aus seinen Romanen und stand den Literaturfans Rede und Antwort.

Rätselhaft. Dieser Mann soll John von Düffel sein? Der Mann, der als 23-Jähriger über Erkenntnistheorie promovierte, der 1998 gleich mit seinem Debütroman "Vom Wasser" voN Publikum und Kritikern gefeiert wurde? Der Mann, der den Ernst-Willner-Preis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 1998 einheimste, der Tausendsassa, der es schafft, Dramaturg, Hörspielautor, Essayist, Übersetzer und Gastdozent zu sein und zugleich einer der erfolgreichsten deutschen Jungautoren? Tatsächlich, der Mann, der im sonst als Standesamt genutzten Zimmer von Schloss Hamm vor den Besuchern des Eifel Literatur Festivals steht, ist besagter John von Düffel. In Jeans und weißem Strickpullover wirkt er jünger als 39, zugleich nicht wie einer, der seinen Erfolg gerne nach außen trägt. Fast unangenehm scheint es ihm zu sein, dass Festival-Organisator Josef Zierden ihn als "einen der meistgespielten deutschen Theaterautoren" und "ganz seltenes literarisches Talent" bezeichnet, und Schlossherrin Eva Gräfin von Westerholt betont, dass sie schon vor zwei Jahren gehofft habe, ihn einmal lesen zu hören. Sie ist nicht die Einzige. Das Standesamt ist gefüllt wie selten, gerade noch hat der Schlossherr zwei Bänke in den Raum mit Kreuzgewölbe, Kamin und Kerzenhalter geschoben. Nun sitzen die Gäste da und tauchen mit dem lesenden John von Düffel ein in die Welt von Jorge, der Hauptfigur in Düffels Roman "Houwelandt". Rätselhaft, dieser Jorge. Auf den ersten Blick ein kalter, egozentrischer Patriarch, dessen Söhne am väterlichen Starrsinn zu zerbrechen drohten, lebten sie nicht schon längst weit entfernt von ihm in Deutschland, während er seinen Lebensabend mit Frau Esther an der spanischen Küste verbringt. Doch als Esther ihn für kurze Zeit verlässt, um die Feier eines 80. Geburtstags vorzubereiten, zeigt der alte Mann seine ganz andere Seite. "Er hatte hart gekämpft die letzten Tage, doch das schien nichts im Vergleich zu den Kämpfen, die noch kommen würden. Auge in Auge mit sich selbst konnte er sich weniger Schwächen und Halbheiten erlauben als bei jedem anderen Gegner der Welt. In solchen Momenten spürte er das Alter wie eine lang gehegte Müdigkeit." Besonders wenn Jorge, der leidenschaftliche Schwimmer, im Wasser ist, offenbart sich seine empfindsame Seite. "All seine Sinne richteten sich auf das bodenlose Blau. Das sich unter ihm auftat, und die hinaufdrängende Tiefe. Sie hatte so ein weiches Fell. Jorge war überwältigt von dem Gefühl des Entronnenseins auf der Haut." Das Wasser. Immer wieder beschreibt John von Düffel dieses Element. Er nutzt es, um die Tiefen der Romanfiguren in seiner für ihn typischen, poetischen Sprache zu offenbaren, ihre Widersprüche in sich aufzunehmen und zu vereinen, aber auch, um sie zu verbergen. Wasser ist seine "flüssige Heimat"

Tatsächlich hat das Wasser für Düffel persönlich eine besondere Bedeutung. Er, der als Kind weit herumgekommen ist, da sein Vater Lehraufträge an Universitäten hatte, in Irland, den USA und Deutschland aufwuchs, hat das Wasser, wie er sagt, als "flüssige Heimat" entdeckt. "Wasser war die einzige Konstante, ein Element, das antwortet", beantwortet der Autor die Frage eines Zuhörers, der sich darüber wundert, warum ihn dieses Thema nicht loslässt. Zugleich sei das Wasser für ihn "ein Refugium der Poesie", bekennt der leidenschaftliche Schwimmer. Das Wasser fesselt ihn immer wieder, ebenso wie das Genre des Familienromans, das er auch in seinem neuesten Roman "Hotel Angst" (2006) aufgreift. Wieder geht es in diesem Buch, in dem ein Sohn sich auf die Suche nach der Identität des verstorbenen Vaters begibt, um die Entfremdung der Generationen, die zugleich vertrauter miteinander sind als sie ahnen. "Das Leben ist ein inneres Forschen und Sich-Spiegeln mit den Bildern der Vergangenheit" erklärt Düffel. Denn auch wenn die Menschen in der modernen Welt losgelöst von Familienbünden lebten, "sind die Muster ja nicht zu Ende". Der Familienroman ist für ihn ein Versuch, "aktuelle Erfahrungen anhand von bereits gemachten Erfahrungen anderer Generationen verstehbar zu machen". Dabei nutzt er vor allem den inneren Monolog als Stilmittel und das Wasser als Element, um tiefer in die Figuren einzudringen. Dass Figuren wie Jorge dabei "merkwürdig geteilt" wirken, freut den Autor. Trotz seiner Arbeit als Dramaturg am Hamburger Thalia-Theater ist seine Romansprache ganz und gar nicht dramaturgisch, sondern meditativ, fließend. Wie er das schafft? Rätselhaft.

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