"Der Irre von Euren"

Trier · Ein Paket aus Amerika wirft neues Licht auf den Hochschullehrer Hans Proppe, der mit Nacktheit und einer eigenen Künstlerkolonie von sich reden machte.

 Ein typisches Kind seiner Zeit und doch in Trier eine Besonderheit: der Hochschullehrer Hans Proppe. Fotos: Stadtmuseum Simeonstift

Ein typisches Kind seiner Zeit und doch in Trier eine Besonderheit: der Hochschullehrer Hans Proppe. Fotos: Stadtmuseum Simeonstift

Foto: (g_kultur
"Der Irre von Euren"
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Trier Er war ein typisches Kind seiner Zeit. Die sehnte sich im zugeknöpften, wilhelminischen Pomp und als Folge der rasch anwachsenden Industrialisierung nach Licht, Luft und Lebensreform. Als Ausdruck von Gesellschafts- und Zivilisationskritik entstanden vielerorts Vereinigungen von Vegetariern, Lebensreformern sowie Nacktkulturvereine. Befreit von Slums sollten auch die Städte im Grünen frische Luft zum Atmen bieten. Solche Sehnsucht empfand offensichtlich auch Hans Proppe. Wer sich mit der Biografie des einstigen Professors der ehemaligen Trierer Werkkunstschule (heute Hochschule Trier) befasst, dem stellt sich sein Leben geradezu als eine modellhafte Verdichtung solcher zeitgeistigen Strömungen wie gesellschaftlichen Utopien vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Dritten Reich dar.
Kein Wunder, dass die gutbürgerliche Trierer Öffentlichkeit den eigenwilligen Mann, der eine Siedlungsgemeinschaft von Künstlern einschließlich Werkstätten im Sinn hatte und in dessen Haus nackt musiziert und diskutiert wurde, als den "Irren von Euren" beäugte.
Eine Nachlassschenkung der in Amerika lebenden Nachkommen des Innenarchitekten und Künstlers ist jetzt Anlass für das Trierer Stadtmuseum Simeonstift, sich neuerlich mit der interessanten Persönlichkeit des gebürtigen Kölners in der Reihe "Objekt des Monats" in einer Ausstellung im Stifterkabinett zu beschäftigen, der in seinem fortschrittlichen Formverständnis Bauhaus-Konzepte nach Trier brachte und mit seinen Ideen und Lebensreform-Konzepten fraglos eine Ausnahmeerscheinung in Trier war.
"Uns hat die Schenkung neue Einblicke ermöglicht", bestätigt Kuratorin Bettina Leuchtenberg. Was als unscheinbare Schachtel mit der Post eintraf, entpuppte sich als Schatzkästlein, das eine Fülle an Fotos und Zeichnungen enthielt, die das Bild Proppes, über dessen Leben wenig Material vorlag, entschieden erhellten. Eine Auswahl davon will den Besuchern den Hochschullehrer näherbringen. Ergänzt wird die Schau durch einen Stuhl als Werkstück.
Die geschenkten Fotos zeigen das Leben in der Künstler-Kolonie in Trier-Euren beim gemeinsamen Feiern oder bei der Gartenarbeit, die von Proppes Schwester Margarete organisiert wurde. Auf anderen Fotos sind Innenaufnahmen der variablen Räume zu sehen oder die zahlreichen Gäste des Hauses, durch das nach Zeitzeugen-Aussagen "die Besucher flossen". Auf weiteren Aufnahmen ist die Freude der Gemeinschaft an der Nacktkultur zu sehen. Die Zeichnungen enthalten vor allem Proppes Entwürfe.
Abwechslungsreich ist das Leben des 1875 geborenen Rheinländers von Anfang an. Nach einer abgebrochenen Polstererausbildung und Schreinerlehre wechselt er 1891 als Zeichner zu einer Mainzer Firma. Zurück in Köln besucht er die Baugewerkschule und zeichnet für eine führende Möbelfirma Entwürfe. Von 1902-1904 schließlich studiert Proppe in Berlin Raumkunst und Innenarchitektur und erlangt die Lehrbefähigung.
In der Hauptstadt kommt er mit den Ideen der Lebensreform, wie den Genossenschafts- und Gartenstadtkonzepten der Friedrichshagener Gemeinschaft in Berührung. Ab 1904 ist Proppe an der Trierer "Gewerblichen Fortbildungs- und Gewerbeschule" als Architekt für Kunstgewerbe angestellt.
In der Moselstadt realisiert der umtriebige Architekt seinen individuellen Entwurf eines "Zurück zur Natur und zum gesunden Leben". Schon 1909 bezieht er mit seiner Familie in Trier-Euren ein Haus, das ihm der zur gleichen Zeit in Trier lehrende Reformarchitekt Heinrich Tessenow auf einem großzügigen Wald- und Wiesengrundstück gebaut hat. Der aus schlichten geometrischen Formen bestehende Bau gleicht den von Tessenow erbauten Häusern der Dresdener Gartenstadt Hellerau. Hier in seiner eigenen Trierer Kolonie versucht Proppe seinen Traum von einem reformierten autarken Leben in einer Künstlerkolonie umzusetzen. Man ist Vegetarier, produziert seine Lebensmittel selbst, musiziert und liest und befreite sich in Licht- und Luftbädern von Bekleidungszwängen. Der ganzheitlichen Reform verpflichtet sind auch die Möbel, im Bauhaus Stil leicht, mobil und variabel. Wo Verhüllung notwendig wird, geschieht dies als Uniform lässiger Kittel, die zudem das genossenschaftliche Gleichheitsprinzip der Gemeinschaft unterstreicht. Mit der Reform der Lebensumstände geht für Proppe auch eine geistige einher.
Der Hochschullehrer ist, wie sein berühmter Malerkollege Johannes Itten vom Weimarer Bauhaus, Mitglied der Mazdaznan-Bewegung, die sich auf den Philosophen Zarathustra bezieht und deren Lehre vegetarische Ernährung, Sonnenkult, eine eigene Farb- und Formsymbolik, allerdings auch völkische und rassistische Elemente beinhaltet. Mit der Mazadaznan-Symbolik schmückt Proppe eigenhändig den Giebel seines Hauses. Regelmäßig zu Gast sind im Trierer Haus Proppe die Mitglieder der örtlichen Mazdaznan-Gemeinde.1937 geht Proppe in den Ruhestand.
Sein Reformmodell der Künstlerkolonie bleibt Utopie, da sich keine weiteren Siedler finden. Seine Lust an der Mazdaznan-Symbolik wird dem 77-Jährigen schließlich zum Verhängnis: 1951 stirbt er bei einem Sturz von der Leiter, als er die Symbole renovieren will.
Ausstellung im Stifterkabinett, vom 29. August bis 26. November 2017 und 16. Januar bis 25. November 2018. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr.

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