Der Menschenfeind zieht wieder in den Krieg

Er ist ein aus dem britischen Arbeitermilieu stammender Meister der Provokation und quasi der böse Zwilling von Robbie Williams: Auch mit seinem zehnten Soloalbum tritt Steven Patrick Morrissey wacker gegen das Establishment an. Der Titel: Der Weltfrieden ist nicht dein Ding.

"Du warst noch nie richtig verliebt, wenn du nicht das Sonnenlicht gesehen hast, wie es auf zerschmetterte menschliche Knochen scheint." Diese Zeilen aus "First of the Gang to Die" (2004) sind eines dieser Signale, die den Zuhörer zu der Erkenntnis leiten, dass es wohl ein Fehler war, Morrissey für einen normalen Popbarden zu halten.
Der mittlerweile 55 Jahre alte Menschenfeind war schon in den 80ern mit seiner Band The Smiths der Schmied böser Worte in zynischen, kontroversen Texten. The Smiths schafften es, in den nur fünf Jahren ihrer Existenz als Indie-Pioniere und eine der einflussreichsten Bands überhaupt in die Musikgeschichte einzugehen. 1987 trennten sie sich, Morrissey machte solo weiter und ist heute immer noch da. Auch in seinem zehnten Album "World Peace is None of Your Business" zieht der böse Pop-Opa wieder in den Krieg.
Fleischesser sind Mörder, Macht macht korrupt, wer wählen geht, stützt damit nur das System - wie immer will die Kunstfigur Morrissey die Welt nicht unbedingt verbessern, sondern konzentriert sich darauf, sie anzuklagen. Diese Disziplin beherrscht der im englischen Manchester geborene Wortschmied perfekt. Musikalisch bietet "World Peace is None of Your Business" keine Überraschungen: Das Ding ist gut hörbar, ein Stilmix von Rock bis Flamenco. Vom Stierkampf in Spanien (mit einem Trompeten-Intro angekündigt) bis zum Umgang mit den irischen Nationalisten in Nordirland: Morrissey zieht wieder in den Krieg gegen das Schlechte in der Welt. Der böse Opa ist dabei nicht ruhiger geworden.
Tritt die Braut


"Kick The Bride Down The Aisle" (Tritt die Braut den Gang hinunter) ist gut für ein paar Entrüstungswogen auf Twitter und Face book. Hier regt sich Morrissey über Männer auf, die sich nach der Hochzeit in devote Befehlsempfänger verwandeln, die nichts mehr fürchten als den Unmut ihrer Gattin. Im Titelsong "World Peace is None of Your Business" hat er den braven Bürger im Visier, der sich nicht belasten will mit Beteiligung und Engagement, lieber in seinem Fernsehsessel sitzt, Kriege unter "weit weg" abhakt und die Politik alles regeln lässt. Der Weltfrieden geht ihn halt nichts an. Sehr stark ist hier das Schlagzeug, das immer mehr in einen Marschrhythmus fällt. Immer schön mitlaufen, nur nicht aus dem Takt kommen.
Die Welt ist grausam


"Earth is the Loneliest Planet" (Die Erde ist der einsamste Planet) klagt schließlich die komplette Menschheit an. Die Menschen sind nicht wirklich menschlich, schreibt und singt Morrissey. Und die Erde ist der grausamste Platz.
Der Mensch Morrissey ist ebenso spannend wie seine Songs. Im Alter von elf wurde er Vegetarier. Seine Erklärung: "Wenn du Tiere liebst, dann macht es doch wohl wenig Sinn, ihnen wehzutun." In seinen Liaisons wechselt er regelmäßig zwischen den Geschlechtern. Die königliche Familie besteht in seinen Augen aus nutzlosen Schmarotzern, und die Politik kommt nicht besser weg. 1984 sagte er über die damalige Premierministerin Margaret Thatcher: "Sie ist nur ein Mensch und kann zerstört werden. Das wäre im Moment das einzige Heilmittel für England." Man kann sich bildlich vorstellen, wie dieser Typ als Jugendlicher in seinem miefigen Zimmer saß, die Rollläden unten, und Antidepressiva einwarf.

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