Der Pate des Indie-Pop

Trier · Phillip Boa ist der David Bowie der Gegenwart. Das jedenfalls sagte Bowie- und U2-Produzent Tony Visconti einmal über den Sänger und Songschreiber aus Dortmund, der eigentlich Ernst Ulrich Figgen heißt. Boa ist bis heute der einzige Deutsche, der jemals mit Visconti zusammenarbeiten durfte. Morgen spielt er im Trierer Exhaus.

 Einsam(e) Spitze: „Wenn ich in die deutsche Musiklandschaft gucke, dann sehe ich keine Konkurrenz“, sagt Phillip Boa. Foto: Ole Bredenfoerder

Einsam(e) Spitze: „Wenn ich in die deutsche Musiklandschaft gucke, dann sehe ich keine Konkurrenz“, sagt Phillip Boa. Foto: Ole Bredenfoerder

Trier. Phillip Boas neues Werk "Loyalty" kletterte auf Anhieb in die Top 20 der deutschen Albumcharts. TV-Mitarbeiter Olaf Neumann hat mit dem Musiker über Frust und Lust gesprochen. Sie haben den Ruf, als Musiker unkorrumpierbar zu sein. Heute erreichen Castingshows wie DSDS hohe Quoten. Sind Sie manchmal verzweifelt darüber, was heute so alles erfolgreich ist?Phillip Boa: Es gibt in der Kunst keinen "bösen" Untergrund mehr, der dafür da ist, andere Meinungen auszudrücken und alles infrage zu stellen. Wenn ein System keinen künstlerischen Untergrund in Musik, Film oder Bildender Kunst mehr hat, geht es irgendwann kaputt. Es gibt nur noch angepasste Leute, die versuchen, über das Medium Fernsehen Karriere zu machen. Das Volk glaubt alles, das ist eine gefährliche Situation. Das System wird immer weicher und sanfter, bis dass es irgendwann verkommt. Entweder zur Diktatur oder zu einer "1984"-Gesellschaft, in der alles verboten ist.Was ist Ihr Antrieb, morgens aufzustehen?Boa: Ich denke manchmal, ich sollte aufhören. Wenn ich dann aber in die deutsche Musiklandschaft gucke, dann sehe ich keine Konkurrenz. Es gibt ein paar gute Bands - Element Of Crime, The Notwist, Tocotronic, Die Sterne -, aber die jungen Gruppen klingen für mich immer wie Schlagerbands, besonders wenn sie auf Deutsch singen. Ich kann sie nicht wirklich ernst nehmen. Wenn ich jetzt auch noch ginge, dann blieben von zehn guten Bands nur noch neun übrig. Zudem kann ich Leute beeinflussen, meine Bedeutung geht darüber hinaus, nur Musiker zu sein. Mich ärgert es extrem, wenn auf Facebook ältere Musiker wie Bruce Springsteen schlecht behandelt werden.Weshalb ärgert Sie das?Boa: Ohne diese Künstler wären viele, die etwas mit Musik zu tun haben, längst arbeitslos. Denn es sind die Einzigen, die Umsätze machen. Darüber hinaus hat Springsteen für die Amerikaner fast eine größere Bedeutung als Obama, weil er die Freiheit hat zu sagen, was wirklich Sache ist. Ihm ist es egal, ob er dadurch 100 000 Euro mehr oder weniger verdient. Das ist auch ein Antrieb. Solche Künstler gibt es in Deutschland nicht, hier gibt es ein paar Gutmenschen. Das ist langweilig. Und dann gibt es den deutschen Schlager, der sich Rock nennt. Alle sind angepasst, alle gehen ins Frühstücksfernsehen. Das ist nicht meine Welt. Da verkaufe ich lieber weniger Platten, aber ich kann noch in den Spiegel sehen.Was haben Sie bei dieser Platte dazugelernt?Boa: Ich habe gelernt, auf Leute wie Brian Viglione oder meinen Produzenten David Vella zu hören und mich nicht in alles diktatorisch einzumischen. Ich als Westfale sage normalerweise eher Nein als Ja. Die meisten Menschen sagen heutzutage Ja. Das ist auch ein Thema der Platte: sich die Freunde danach auszusuchen, ob sie einem irgendwann einmal nützlich sein können. Meine Songs sollen aber nicht frustriert klingen, sondern schön.Wie gelingt es, auch junge Leute auf Phillip Boa aufmerksam zu machen? Es gibt doch nichts Schlimmeres, als in die Kategorie "Oldieband” gesteckt zu werden.Boa: Darüber denke ich nicht nach. Meine Songs klingen nicht alt und auch nicht deutsch, sondern international. Ich sehe es natürlich gerne, wenn vorne junge Leute stehen, was seit zwei Jahren auch wieder passiert. Aber ich liebe mein älteres Publikum, weil es mit mir mitgewachsen ist. Meine Fans finden die Songs von 1987 bis ungefähr 1994 am besten. Das ist das Schicksal eines jeden Songwriters, der so lange dabei ist. Jeder Künstler auf der ganzen Welt ärgert sich darüber, aber dieses Fan-Verhalten ist völlig normal und auch soziologisch erklärbar. Die Leute sehnen sich nach dem besten Jahrzehnt überhaupt zurück, nämlich den 80ern. Damals ist viel mehr gute Musik entstanden, als man vermutet. oneuPhillip Boa ist morgen, 8. November, ab 20 Uhr im Trierer Exhaus zu Gast. Im Vorprogramm spielt die Trierer Band My First Robot. Karten: TV-Service-Center Trier, Bitburg und Wittlich.

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