Der Schutzschirm ist gefährdet

Trier · Mehr als 70 000 Menschen haben in den vergangenen Wochen eine Petition an den Bundestag zum Erhalt der Künstlersozialversicherung unterzeichnet. Hinter dem scheinbar abstrakten Thema steckt eine ganz konkrete Existenzbedrohung für viele Künstler - auch in der Region Trier.

Trier. Ende der 1970er Jahre geschah es, dass ein freiberuflicher Künstler im Deutschen Bundestag saß. Der Schriftsteller Dieter Lattmann (SPD) brachte maßgeblich ein revolutionäres Projekt voran: Die Einrichtung einer Kranken- und Rentenversicherung für freiberufliche Künstler. Sie sollte den oft am Existenzminimum kratzenden Poeten, Sängern, Tänzern, Schauspielern, Malern, Zauberern, aber auch Musikern und DJs, Grafikern und Textern, Schreiberlingen und Übersetzern eine halbwegs solide soziale Absicherung ermöglichen. Grundprinzip: Die Betroffenen zahlen wie abhängig Beschäftigte nur die Hälfte der Beiträge, die andere Hälfte bringen Staat und Unternehmen auf (siehe Extra).

Als die KSK 1981 im Bundestag beschlossen wurde, war man stolz auf diese Errungenschaft der kulturbeflissenen Bundesrepublik. Tenor der Kommentare: Die Gesellschaft zeige so die Wertschätzung des kreativen Sektors.

Seither hat das Thema kontinuierlich an Brisanz gewonnen. Denn der Anteil selbstständiger Kreativer wächst, seit Unternehmen lieber Dienstleistungen einkaufen als Menschen einzustellen. Was aber in den letzten Jahren kaum mehr gewachsen ist, sind die Zahlungen der Unternehmen, die entsprechende Kreativ-Leistungen in Anspruch nehmen. Das hat damit zu tun, dass die Abgabepflicht kaum kontrolliert wird. Viele Unternehmen wissen nicht einmal, dass sie zur Abgabe verpflichtet wären. Die Deutsche Rentenversicherung, die seit 2007 für das "Eintreiben" zuständig ist, reißt sich nicht gerade ein Bein aus, wenn es um Heranziehung und Aufklärung geht. Sie hätte gerne viel Geld für ihre Dienstleistung, spricht von 50 Millionen Euro Verwaltungskosten pro Jahr - während das Bundesarbeitsministerium gerade mal von einem Zehntel an Kosten ausgeht.

Dazu kommt eine politische Debatte: Viele Unternehmen wären die lästige Abgabe gerne los, die FDP hatte ohnehin nie viel dafür übrig - schließlich, so das Argument der Liberalen, würden andere Selbstständige auch nicht privilegiert. Selbst die CDU ließ ihre Ministerin von der Leyen im Regen stehen, als die eine gesetzliche Kontrollpflicht für die Entrichtung der Abgabe forderte. Seither fürchten viele Künstler, die schwarz-gelbe Koalition wolle die KSK durch schleichenden Einnahmeschwund aushungern.

Das hätte fatale Folgen - sagen fast alle Künstler und Kreativen aus der Region. So wie der Schauspieler Alexander Ourth, einst beim Trierer Theater und heute gemeinsam mit seiner Partnerin Elke Reiter Betreiber der Theatergruppe Kulturlabor: "In einem Haushalt mit zwei Freiberuflern könnten wir ohne die KSK unseren Job an den Nagel hängen", sagt Ourth. Auch die Beschäftigung anderer Schauspieler für gemeinsame Produktion sei dann "einfach nicht mehr zu stemmen".
Die Tänzerin Hannah Ma verweist auf die "enorme Qualitätsminderung des Niveaus in der freien Szene", weil niemand sich mehr leisten könne, vollzeit als Künstler zu arbeiten. Und eine Kompensierung durch höhere Zuschüsse und bessere Gagen sei "utopisch".

Der Autor Dorian Steinhoff hat nachgerechnet und kam zu einem fatalen Ergebnis: "Bei einer gesetzlichen Krankenkasse würde ich das Doppelte zahlen und wäre dann noch nicht renten- und pflegeversichert." Trotz aller Kritik im Detail sei ein Fortbestehen wichtig, "da müssen sie sich nur mal den Durchschnitt eines KSK-Versicherten ansehen".

Das sieht in der Tat bitter aus: Freischaffende Kreative bei der KSK bringen im Schnitt 14 500 Euro Jahresverdienst nach Hause - vor Steuern. Wo andere sich als Berater, Coaches oder Troubleshooter die Selbstständigkeit vergolden lassen, bleibt für Künstler oft nur die Dumping-Gage.

Das stört auch Veranstalter wie Hermann Lewen. Der Chef des Mosel Musikfestivals muss in seinem Budget jährlich 10.000 Euro KSK-Abgabe einplanen. Und doch ist die Aussage des Kulturmanagers eindeutig: Die Künstlersozialkasse sei "richtig und wichtig".Extra

Die KSK steht freischaffenden Künstlern und Kreativen offen, wenn sie hauptberuflich arbeiten, ein Mindesteinkommen erzielen und nicht nur vorübergehend tätig sind. Sie funktioniert nach folgendem Prinzip: Die Versicherten, derzeit knapp 180 000, zahlen die Hälfte ihrer Beitragssumme zur gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung, 20 Prozent trägt der Bund (derzeit 160 Millionen Euro), 30 Prozent werden als Abgabe von allen Unternehmen erhoben, die regelmäßig die Leistung freiberuflicher Kreativer in Anspruch nehmen. Zurzeit zahlen sie jeweils 4,1 Prozent der Honorarsumme. Bundesweit sind es 150 000 Unternehmen, die sich beteiligen - weit weniger, als eigentlich verpflichtet wären. Je weniger Unternehmen zahlen, desto höher wird deren Hebesatz. Die Ehrlichen zahlen de facto für den Rest mit. DiL

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