Der Tanz auf dem Drahtseil

Wenn die Solistin ausfällt, muss der Veranstalter rasch handeln. Das Trierer Theater tat das und fragte für das 5. Sinfoniekonzert beim Schweizer Pianisten Adrian Oetiker an. Der ließ sich auf den Drahtseilakt ein und gehörte am Ende zu den Gewinnern.

 Adrian Oetiker. Foto: Veranstalter

Adrian Oetiker. Foto: Veranstalter

Trier. Der Preis für die beste Nebenrolle geht zweifellos an die beiden Bühnenarbeiter. Mitten im 5. Sinfoniekonzert setzten sie sich geschäftig in Szene, räumten Pulte ab, stellten Stühle auf, rückten alles orchestergerecht hin und wurden im fast voll besetzten Theater sogar mit freundlichem Beifall bedacht.

Trotzdem: schade um die Unterbrechung! Durch die Umbauaktion auf offener Bühne wäre fast der schönste Moment in diesem Konzert verpufft. Die Bläserserenade op. 7 von Richard Strauss ist eine kleine Kostbarkeit. Da hat der 17-Jährige schon den reifen Strauss vorausgeahnt - vom "Rosenkavalier" über die "Ariadne" bis hin zum melancholischen Klassizismus von "Daphne" und "Capriccio".

Gastdirigent Florian Krumpöck und die Bläser des Philharmonischen Orchesters hatten sich zudem in den Tonfall des Werks perfekt eingefühlt: Ein Ensemble, das diese Musik auch in der trockenen Theater-Akustik zum Klingen brachte und ein Leiter, dem Klang und Ausdruck wichtiger waren als knallharte Präzision.

Damit waren einige Defizite aus dem ersten Teil vergessen. Die abrupte Umbesetzung hatte Chopins 2. Klavierkonzert nicht unbedingt gutgetan.

Solistin Christiane Klonz war kurzfristig ausgefallen - wegen Krankheit, wie man jedenfalls offiziell verkündete -, und Adrian Oetiker wurde aus Basel eingeflogen. Der demonstrierte mit Notenband und Assistentin gleich das Unfertige seines Auftritts und war in dem riskanten Spiel am Ende doch der Gewinner.

Natürlich klebten immer mal wieder die Reste der offensichtlich stark verkürzten Übeprozedur am virtuosen Tastenspiel, und gelegentlich mischte sich teutonische Gewaltsamkeit in Chopins sprichwörtliche Finesse. Aber Oetiker musizierte spätestens vom zweiten Satz an ausdrucksbewusst, mit den nötigen rhythmischen Freiheiten und im Finale auch mit der federnden, perlenden Eleganz, die zu dieser Musik gehört. Weil Orchester und Dirigent überdies nach reichlich banalem Einstieg zu auftrumpfender Energie fanden und den Tempoverschiebungen Oetikers nach Möglichkeit folgten, gelang der heikle Drahtseilakt, und nach dem Schlussakkord jubelten Beteiligte wie Zuhörer dem Pianisten einhellig zu.

Die Stimmung war gerettet und steigerte sich nach der Strauss-Miniatur zu offener Euphorie. Dabei verlegte sich Florian Krumpöck bei Schuberts Sechster gar nicht auf Stimmungsmalerei und erspart Musikern und Hörern alle sangseligen Klischees von Schuberts Vorstadt-Charme.

Der Wiener Dirigent begegnet dem Wiener Komponisten mit einer Art freundlicher Sachlichkeit: straff, spritzig, gelegentlich mit tragischem Unterton und in Scherzo und Finale mit leichtfüßiger Brillanz.

Überhaupt: Florian Krumpöck. Er hatte schon der einleitenden Ouvertüre zu Rossinis "Diebischer Elster" einen gelassenen Lustspiel-Tonfall mitgegeben, der Sympathie weckt. Nichts bei ihm ist spektakulär - nicht die Tempi, nicht der Klang, nicht die Lautstärke, nicht der Ausdruck, und vereinzelt hapert es sogar bei den Einsätzen.

Und doch: Bei diesem Dirigenten kommt enorm viel Musik herüber. Da sage jemand, das sei nebensächlich!

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