Der Ton macht die Musik
Trier · Ungewohnte Klänge und befremdliche Töne standen im Mittelpunkt des internationalen Festivals für aktuelle Klangkunst in der Tuchfabrik Trier. Dass musikalischer Genuss auch harte Arbeit sein kann, erfuhren rund 300 Zuhörer beim Auftakt am eigenen Leib. Der TV hat beim Start des Opening-Festivals reingehört.
Experimentelle Musik, moderne Klangkunst und improvisierte Tonkollagen - das klingt nicht nach Partystimmung. Beim internationalen Festival für Klangkunst am Wochenende in der Tufa Trier hatte musikalisches Einerlei von der Stange keinen Platz. Was den aufgeschlossenen Hörer dort erwartete, war tönendes und klingendes Neuland für den Hörsinn. Arbeit für die Ohren. Dem Verweigerer bot sich dagegen bloß wüstes oder ödes Geklimper, Geschrammel und Geräuschmüll - nicht abgepackt in süffigen Portiönchen zum Mitklatschen.
Ein Radio rauscht, spuckt Sprachfetzen und Bruchstücke von Schlagern in den Raum. Vokalistin Natascha Nikeprelevic nimmt am Freitagabend die Wortbrocken, äfft sie nach, zerstückelt sie mit ihrer Stimme zu Silbensalat. Sie singt, pfeift, schreit, stammelt, kichert und prustet. Ihr gegenüber sitzt Vokalimprovisateur Michael Vetter. Auch er schraubt an einem Radio herum. Dabei knurrt, singt, stottert, stöhnt, seufzt, ächzst er - bläst in eine Flöte, um sich gegen das schrille Organ seiner Partnerin zu behaupten. Es entspinnt sich ein Mit- und Durcheinander von Tönen, die den Stimmen der Künstler entspringen. Das Stück "Pole für 2" des Klangkünstlers Karlheinz Stockhausen ist ein ernstes wie komisches Spiel mit dem klanglichen Potenzial der menschlichen Stimme. Sofort klingen einem die dadaistischen Lautgedichte eines Hugo Ball oder Hans Arp im Ohr. Es darf gelacht werden. Sonst wäre das eine Stunde lang kaum auszuhalten. Wie vielseitig das eigene Organ sein kann und komisch obendrein. Was scheint wie improvisiertes Lautwirrwarr, folgt doch festen Regeln. Ein Blick auf die Partituren: Viele Plus- und Minuszeichen, das ähnelt einem Bauplan für Schaltkreise.
Musik ohne Geschwindigkeit
Das zweite Konzert an diesem Abend ist ein krasser Gegensatz zum komponierten Durcheinander eines Stockhausen. Die Koto-Meisterin Makiko Goto spielt neue und alte Musik auf japanischen Zithern. Die zierliche Frau entlockt den Kotos Klänge von fremder Schönheit. Immer wieder schiebt sie Bundsteine auf dem Instrument hin und her. Spielt sie schon oder stimmt sie die Saiten noch? Sie spielt. Nur eine Struktur ist nicht erkennbar. Es ist Musik, der jegliche Geschwindigkeit fremd ist. Akzentuierte Tonfolgen verhallen, erzeugen eine meditative Atmosphäre. Vergeblich fischt man nach gewohnten Mustern. Nur meditative Ruhe, in die hinein die Töne der japanischen Zither platschen. Die Töne stehen für sich selbst. Das macht schläfrig.
Zu später Stunde gibt es "richtige" Musik. Die Pianistin Seon Kyung Kim spielt Intermezzi von Johannes Brahms. Allerdings hat der Komponist Kunsu Shim die Stücke in eigene Kompositionen eingebettet - ein esoterischer Kontrast zum schwungvollen Brahms. Die tropfenden Klänge des Flügels erzeugen unwillkürlich eine intensive Ruhe. Die asketischen Kompositionen Kunsu Shims setzen die Ohren nach dem melancholischen Rausch der Brahms'schen Intermezzi auf eine Nulldiät. Brahms bei den Weight Watchern. "Irgendwann wurde mir Brahms' Pathos fremd", sagt Kunsu Shim und zieht die Spaßbremse. Setzt den abendländischen Kollegen auf den stillen Stuhl. Im Nu ist das Feuer des Johannes Brahms erloschen. Der asiatische Beruhigungszauber wirkt. Ein Zuhörer gähnt hörbar laut. Die Tranquilität, die von den sparsam dosierten Tönen des Flügels ausgeht, ist körperlich spürbar. Und spät ist es auch schon.
Wohltuende Erfahrung
Fazit: Wer seine Hörgewohnheiten an der Kasse abgegeben hatte, der erfuhr einen spannungsgeladenen Musikabend mit skurrilen, erhabenen und erstaunlichen Momenten. Neue, ungewohnte und berauschende Hörerlebnisse, anstrengend und fordernd. Mitklatschfaktor: Null. Und das ist eine wohltuende Erfahrung.