Der Traum von Atlantropa

Wie wird sie bloß - die Zukunft? Manche fürchten sich vor ihr, andere schmieden die wildesten Visionen. In Kooperation mit dem Deutschlandfunk nimmt der Volksfreund in dieser Woche den Traum von einem riesigen Staudamm bei Gibraltar unter die Lupe.

Trier. Es war die Lebensvision des deutschen Architekten Herman Sörgel: Ab 1928 plante er, monumentale Staudämme bei Gibraltar sowie bei den türkischen Dardanellen zu bauen. Damit wollte er den Zufluss von Wasser ins Mittelmeer kontrollieren. Das Projekt namens Atlantropa sollte Lebensraum schaffen und Strom für ganz Europa liefern. In den 30er Jahren stießen die Pläne zunächst auf großes Interesse - um später grandios zu scheitern.

"Das Ziel meines Atlantropa-Plans ist, Europa und Afrika zu einem neuen Kontinent zu verbinden." Mit diesen Worten umriss Sörgel seine große Vision. "Europa und Afrika sollen mit ihren Landgebieten zusammenwachsen!" Um das zu bewerkstelligen, wollte der Architekt gigantische Staudämme errichten, die das Mittelmeer systematisch von seinen wichtigsten Zuflüssen abriegeln - dem Atlantik und dem Schwarzen Meer.

Der Hintergedanke: Das Mittelmeer ist ein Verdunstungsmeer. Wegen des heißen Klimas verdunstet an seiner Oberfläche deutlich mehr Wasser, als ihm aus den Flüssen zugeführt wird. Würde nicht vom Atlantik bei Gibraltar und vom Schwarzen Meer durch die Dardanellen ständig Wasser ins Mittelmeer fließen, müsste es allmählich austrocknen.

Dieser Umstand brachte Sörgel auf eine Idee: Könnte man den mediterranen Meeresspiegel künstlich senken, entstünden Landbrücken zwischen Europa und Afrika. Beide würden zu einem neuen Riesenkontinent verschmelzen - Atlantropa, wörtlich "Festland am Atlantik". Damit hätte Europa unmittelbaren Zugang zu den Schätzen Afrikas: große, dünn besiedelte Areale, riesige Rohstofflager, Nahrungs- und Bodenschätze.

Herzstück des Planes war der Staudamm bei Gibraltar. Das Bauwerk sollte enorme Ausmaße besitzen: 30 Kilometer lang, bis zu 300 Meter tief. Unten, am Fußpunkt, wäre der Damm knapp drei Kilometer dick gewesen. Oben, auf der bis zu 800 Meter breiten Dammkrone, sollten Autos und Schnellzüge verkehren.

Mittelmeer um 100 Meter absenken



Nach Fertigstellung des Damms wäre der Meeresspiegel jedes Jahr um anderthalb Meter gesunken. 70 Jahre später hätte sich das Mittelmeer um 100 Meter gesenkt, wodurch allein im westlichen Mittelmeer zweimal so viel Land freigelegt worden wäre, wie die Schweiz groß ist. Danach war ein nächster Damm zwischen Sizilien und Tunesien geplant. Er sollte das östliche Mittelmeer um weitere 100 Meter absenken und die Adria größtenteils trockenlegen. Im östlichen Mittelmeer wäre dadurch Neuland von der Größe Spaniens entstanden.

Neuland, das man laut Sörgel urbar machen und besiedeln hätte können. Aber der Plan hatte seine Schattenseiten. "Alle Hafenstädte hätten ihr Wasser verloren, und damit ihre Lebensgrundlage", sagt Wolfgang Voigt vom Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt. Obwohl Sörgel seine Vision mehr als zwei Jahrzehnte lang mit Leidenschaft propagierte, scheiterte das Unterfangen aus mehreren Gründen. "Sörgel wäre es nie gelungen, die souveränen Staaten nördlich des Mittelmeers zu einigen", meint Voigt. "Das war eine Utopie, das war zu seiner Zeit nicht möglich."

Außerdem erscheint das Atlantropa-Projekt aus heutiger Sicht viel zu riskant: Ein mediterraner Wasserlass würde das Mittelmeerklima drastisch verändern: In Südeuropa und Nordafrika würde es noch trockener werden, vielleicht würde sogar der Golfstrom gestört und damit das Klima in ganz Europa. Weltweit würde der Meeresspiegel um einen Meter steigen, Inseln und Küsten müssten vermehrt gegen Überflutungen kämpfen.

Atlantropa war der wohl erste Versuch des "Geo Engineering", wie man das gezielte großräumige Verändern von Erdoberfläche und Atmosphäre heute nennt. Das Projekt starb letztlich mit seinem Erfinder. 1952 kam Herman Sörgel bei einem Autounfall ums Leben.

Dieser Beitrag läuft heute (31. August) im Deutschlandfunk im Rahmen der Reihe "Rückblicke auf die Zukunft" (immer dienstags um 16.35 Uhr in der Sendung "Forschung aktuell"). In der Region empfangen Sie den Deutschlandfunk auf UKW 95,4 und 104,6. Weitere Informationen im Netz unter www.dradio.de/utopien

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