Der Wahnsinn ist sein Gefängnis
Esch-sur-Alzette · Hat jeder von uns eine dunkle Seite? Und kann man sie loswerden? Rund 300 Zuschauer sehen im Theater in Esch-sur-Alzette ein Musical über die Geschichte von Henry Jekyll und seinen Doppelgänger Edward Hyde.
Esch-sur-Alzette. Henry Jekyll (Christoph Goetten) ist außer sich vor Trauer. Seinen Vater, einst ein genialer Arzt, hat der Wahnsinn ereilt. Er stirbt in geistiger Umnachtung. Darum macht sich der Filius, der ebenfalls als Arzt tätig ist, daran, eine neuartige Medizin zu finden, mit deren Hilfe er das Böse im Menschen vom Guten abspalten und eliminieren kann. So will er dem Wahnsinn beikommen.
Doch im Londoner St.-Jude-Hospital verwehrt man ihm einen Patienten, an dem er seine neue Erfindung ausprobieren kann. So greift der wild entschlossene und vom Ehrgeiz getriebene Jekyll zum letzten Mittel: Er wird sein eigenes Versuchskaninchen. Sorgen seiner Verlobten Lisa (Corinna Ellwanger) und seines Freundes John Utterson (Marc Lamberty) schlägt er in den Wind.
Und so beginnt ein rasantes Wechselspiel zwischen Hoffnung und Enttäuschung. Denn das Experiment gerät immer mehr außer Kontrolle und geht schließlich schief. Jekylls böse Seite, sein Alter Ego Edward Hyde, wird durch die Droge "JH7" von der Persönlichkeit abgespalten. Hyde gewinnt mehr und mehr die Kontrolle über den Körper des Arztes. Der Wahnsinn, den Jekyll vernichten wollte, wird zu seinem eigenen Gefängnis. Wie eine rasende Furie macht er nachts die Straßen Londons unsicher und tötet alle, die ihm auf seinen Touren im Weg sind, auf brutalste Weise.
So wenig das Musical auch mit der literarischen Vorlage von Robert Louis Stevenson gemeinsam hat: Das Stück unter der Regie von Andreas Gergen hat seinen ganz eigenen Charme. Schon das Bühnenbild besticht durch seine schlichte Genialität: Aus halboffenen Holzwänden werden innerhalb kürzester Zeit ein Platz im Londoner East End des 19. Jahrhunderts, eine romantische Veranda, das Bordell "Rote Ratte" oder eine Irrenanstalt. Für die perfekte Illusion sorgen auch die mit Liebe zum Detail ausgewählten Kostüme der Schauspieler. Beeindruckend ebenfalls die Leistung von Hauptdarsteller Christoph Goetten, dem das Spielen der Doppelrolle Jekyll/Hyde ganz ohne Hilfsmittel, nur durch Veränderung der Mimik und Gestik, gelingt.
Am meisten jedoch überzeugt die extrem stimmungsvolle Musik aus der Feder von Heiko Lippmann in Kombination mit der Choreographie von Kim Duddy. Die poppigen Songs, bei denen die Sänger auf der Bühne vom Orchestergraben aus durch Musiker des Nationalen Akademischen Bolschoi Opern- und Ballett-Theaters aus Minsk unterstützt werden, gehen unter die Haut. Ob bei dramatischen Passagen wie der ersten Verwandlung von Jekyll zu Hyde oder bei romantischen Szenen wie der Verlobungsfeier von Jekyll und seiner Lisa.
Da stört es auch nicht, dass die ursprünglich verschachtelte Geschichte von Robert Louis Stevenson durch die lineare Erzählweise des Musicals an Tiefe verliert.