Dialog der Religionsgruppen: "Flagge zeigen, bevor es zu spät ist"

Trier · Pogrome, Ritualmorde, Vertreibungen, religiöser Antijudaismus, rassistischer Antisemitismus und dann die Shoa: Die Vergangenheit der Juden in Deutschland ist überaus schmerzlich. Ein Grund mehr, so Daniel Botmann vom jüdischen Zentralrat, jetzt entschieden gegen Attacken von rechts einzuschreiten.

 Engagiert gegen rechts: Daniel Botmann, Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland. TV-Foto: Martin Möller

Engagiert gegen rechts: Daniel Botmann, Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland. TV-Foto: Martin Möller

Foto: Martin Möller (mö) ("TV-Upload M?ller"

Trier. Daniel Botmann ist ein Freund der klaren Worte: "Ohne Dialog der Religionen ist die gegenwärtige Krise nicht zu bewältigen." Und der Geschäftsführer im Zentralrat der Juden in Deutschland ergänzte später: Die Zuwanderung von mehr als 200 000 osteuropäischen Juden nach Deutschland sei für die jüdischen Gemeinden eine enorme Herausforderung gewesen. Aber trotz mancher Schwierigkeiten sei die Integration beispielhaft gelungen. Vielleicht ein Vorbild zur Bewältigung der aktuellen Krise.Bündnis gegen Gewalt

In der Situation der deutschen Juden klingt bis heute die lange und schmerzvolle Leidensgeschichte des europäischen Judentums mit. Botmann skizzierte die Stellung Martin Luthers zu den Juden ("eine frühmoderne Form des Antisemitismus"), die Schuld der katholischen Kirche, die schlimmen Gerüchte um Ritualmorde an Kindern und Brunnenvergiftungen - und dann der Völkermord, die Shoa. Bei der Gründung des jüdischen Zentralrats im Jahr 1950 sei Deutschland für die damals 15 000 Juden nur eine Station auf dem Weg zur Auswanderung gewesen - nur ein Übergang. Und erst allmählich und ohne bewusste Entscheidung sei Deutschland für die deutschen Juden wieder zu einem Stück Heimat geworden. Dazu trug das Bekenntnis der christlichen Kirchen zur eigenen Mitverantwortung bei, wie es sich in der katholischen Konzilserklärung "Nostra aetate" niederschlug. Und dazu, so Botmann, gehöre auch die Einsicht, dass die Verschiedenheit der Religionen kein Unglück ist, sondern "Gottes Plan". Die jüngere Vergangenheit der Juden in Deutschland ist nicht, was man Erfolgsgeschichte nennt - eher eine Geschichte der langsamen Annäherung, vielleicht der Heilung. Und erst allmählich hat sich ein deutsch-jüdischer Dialog etabliert, der jetzt um das Gespräch mit dem Islam erweitert wird. Dabei geht es sowohl ums Gespräch als auch ganz praktisch um den gelebten Alltag. "Brücken bauen" nennt Botmann das. Kein Forum für Hassparolen

Dabei ging er über von der Historie zur Gegenwart und zur aktuellen Situation in Deutschland und Europa. Wenn rechte Gruppierungen die Gefühle "vermeintlich besorgter Bürger" für ihre Zwecke ausnutzten, dann helfe nur noch ein "Aufschrei der Anständigen" und "der politische Zuständigen". Gemeinsamer Widerstand gegen die Gewalt von rechts sei jetzt die wichtigste Aufgabe der drei Religionen. "Wir müssen Flagge zeigen, bevor es zu spät ist." In der anschließenden Diskussion wies Botmann Attacken von ganz rechtsaußen souverän zurück. Und Hans Georg Gradl vom veranstaltenden Emil-Frank-Institut dankte dem stark applaudierenden Publikum ausdrücklich für dessen entschiedene Reaktion. Wer Hassparolen verbreiten wollte, hatte in dieser Veranstaltung keine Chance.Extra

… Daniel Botmann, Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland TV: Sie beobachten die politische Entwicklung in Deutschland mit größter Aufmerksamkeit. Worin besteht aktuell die größte Gefahr? Botmann: Wir befinden uns gerade vor den anstehenden Landtagswahlen in einer politisch heiklen Situation. Parteien vom rechten Rand versuchen, Menschen für ihre Positionen zu gewinnen. Dem müssen und dem werden sich alle demokratischen Kräfte entgegen stellen. Und worin besteht aktuell die größte Chance für das christlich-jüdisch-islamische Gespräch, den Trialog? Botmann: In der aktuellen Flüchtlingskrise kommen Menschen nach Deutschland, die integriert werden müssen. In dieser Situation müssen die Religionsgemeinschaften zusammenstehen und gemeinsam diese Herausforderung bewältigen. Gerade angesichts dieser Aufgabe eröffnet sich für die drei Religionen die Möglichkeit, sich näher kennenzulernen und Hand in Hand zu arbeiten. Ihr ganz persönlicher Beitrag zum Trialog? Botmann: In ganz vielen Abendveranstaltungen, in ganz vielen persönlichen Begegnungen und Gesprächen auf Verbandsebene oder privat werbe ich für gegenseitiges Verständnis. Jeder von uns sollte sich als kleiner Botschafter verstehen. Nur dann können wir die Welt etwas besser gestalten. mö

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