Kulturwoche Dicke, Dünne und die Gegenwart der Vergangenheit

Sage mir, wie viel du wiegst, und ich sage dir, wo du wohnst. Denn Körperumfang und Wohnort haben viel miteinander zu tun, behaupten Wissenschaftler der Universitäten von Oxford und Hongkong.

Laut ihren Erkenntnissen haben Menschen, die in dichtbesiedelten Gegenden leben, weniger Probleme mit Übergewicht. Um das herauszufinden, haben sie 419 000 Probanden in 22 britischen Städten befragt und das Ergebnis im renommierten Wissenschaftsmagazin The Lancet veröffentlicht. Die dicksten Menschen, so ihre Erkenntnisse, leben in Regionen mit etwa 1800 Häusern pro Quadratkilometer. Der Model-Figur kommt näher, wer in einem von 3200 Häusern wohnt, die auf diesem Quadratkilometer Platz finden müssen. Und je mehr man sich der City von London nähert, desto schlanker sind die Menschen, die einem auf dem Weg dorthin begegnen, denn die Bevölkerungsdichte wird sozusagen mit jedem Schritt größer. Die Wissenschaftler geben zwar zu bedenken, dass sich britische Verhältnisse nicht notwendigerweise auf Metropolen und weniger dicht besiedelte Gegenden in anderen Ländern übertragen lassen, aber gewisse Parallelen dürften unübersehbar sein. Denn warum ist das so? Die Forscher schreiben es der größeren Beweglichkeit der dichter gedrängten Bewohner zu. Wer weit draußen wohnt, muss ins Auto steigen, um zum Supermarkt oder ins Theater zu kommen. Wer im Zentrum residiert, kriegt erstens sowieso keinen Parkplatz bzw. nur zum Preis einer Monatsmiete für eine Vierzimmerwohnung, und zweitens findet er alles um die Ecke, was er braucht: den Lebensmittelladen, das Kino und den Pub sowieso. Wer also dort lebt, wo der Bär tanzt, ist beweglicher, um mittanzen zu können. Das eröffnet den Anbietern von Pfundabnahmestellen natürlich ganz neue Perspektiven und Geschäftsmodelle. Anstatt ihre Klientel sich auf Maschinen abstrampeln zu lassen, um unerwünschte Kilos loszuwerden, sollten sie ihren übergewichtigen Kunden zu einem Umzug mitten in die Stadt raten. Damit werden gleich zwei Fliegen mit einer Klatsche geschlagen: Erstens fördert die zentrale Lage die "walkability", wie die Forscher den gesteigerten Bewegungsbedarf nennen, und zweitens müssen sie so viel Miete zahlen, dass fürs Essen ohnehin kaum noch was übrigbleibt. Bleiben wir noch eine Weile in London, solange unsere Aufenthaltsgenehmigung noch gültig ist. Dort sind derzeit die Werke eines Europäers, genauer gesagt: eines Deutschen zu sehen, um den es in seiner Heimat in letzter Zeit etwas ruhiger geworden ist. Die Rede ist von Wim Wenders (72), Regisseur und Fotograf, vielfach preisgekrönt im In- und Ausland und unter den damaligen deutschen Jungfilmern der immer schon etwas andere Filmemacher. Seine Vorliebe für Amerika spiegelt sich in zahlreichen seiner Leinwandwerke - und in seinen Fotos. Während der Dreharbeiten in den USA war Wenders' Polaroidkamera ein ständiger Begleiter. Er fotografierte Motels und Tankstellen, menschenleere Straßen und einsame Häuser - ein Edward Hopper des Fotoapparats. Es sind Bilder aus einer längst vergangenen Zeit, in denen die Welt der 1970er Jahre wie in einer Zeitkapsel gefangen ist. "Wenders hatte mit Weitblick und Sensibilität erkannt, dass seine täglichen Erfahrungen, festgehalten im Bild, sofort zu historischen Momenten gerannen", heißt es in einer Ankündigung zur Ausstellung. "Die Gegenwart, die er erlebte, wurde sofort Vergangenheit, die er damit auf eine poetische, unheimliche und melancholische Weise festhielt." Die Schau "Instant Stories. Wim Wenders' Polaroids" heißt die Ausstellung mit zum Teil erstmals gezeigten Fotografien, die bis zum 11. Februar 2018 in der Londoner Photographers' Gallery in der Ramillies Street 16-18 im Stadtteil Soho zu sehen ist. Rainer Nolden Unterm Strich - Die Kulturwoche

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