Die am meisten unterschätzte Oper der Welt

Luxemburg · Das Grand Théâtre Luxemburg schließt mit "Idomeneo" eine große Lücke in der Mozart-Pflege. Die vielleicht am meisten unterschätzte Oper der Welt ist in einer Produktion zu sehen, die szenisch zwar manche Wünsche offenlässt, sich aber musikalisch auf höchstem Niveau bewegt.

Luxemburg. Warum hat "Idomeneo" es nie geschafft in die Reihe der allseits beliebten Mozart-Opern? Warum spielt jedes Haus "Don Giovanni", "Cosi fan tutte", "Figaro", "Entführung" und "Zauberflöte", bis der Putz von der Decke rieselt, lässt aber Mozarts Version der griechischen Sagengeschichte links liegen?
Wer sich im Grand Théâtre die großartige Musik anhört, die Mozart für diese Oper komponiert hat, wird es schwerlich begreifen. Der Maestro schüttet ein Füllhorn schönster Arien über seinen Protagonisten aus, von innig bis dramatisch, mal kunstvolle Koloratur, mal zu Herzen gehende Emotion. Keine andere Mozart-Oper verfügt über derart imposante, fein illustrierende Chöre.
Ein Füllhorn schönster Arien


Die Produktion in Luxemburg, in Zusammenarbeit mit mehreren französischen Opernhäusern entstanden, arbeitet die musikalische Finesse vorbildlich heraus. Dirigent François-Xavier Roth führt das kleine, feine Orchester Les Siècles zu einer kompakten, souveränen Interpretation, die allen Facetten der Komposition gerecht wird. Selten schwelgerisch, eher nüchtern, mit knapper Rezitativ-Begleitung: Mozart auf den Punkt gebracht. Nicht minder vorzüglich: der Chor, geschmackssicher, nie zu dick auftragend, präzise, kraftvoll.
Die Solisten-Partien sind auf Weltniveau besetzt. Chad Shelton singt den zerrissenen König Idomeneo hochkultiviert und intonationssicher, Cécile Perrin gibt eine wuchtige, bisweilen stürmische Elektra. Judith van Wanroij ist die geradezu perfekte Verkörperung der Prinzessin Ilia, da fällt nicht der Hauch eines Schattens auf die großartige Stimmführung und die zupackende gesangliche Gestaltung. Die Überraschung des Abends: Countertenor Terry Wey singt den Idamante nicht in seiner Stammlage, sondern mit einem filigranen, herrlich timbrierten, sehr ausgeglichenen Tenor.
Große, statische Tableaus


Musikalisch also unterm Strich ein beglückender Abend. Zur Regie lässt sich bei Aufbietung aller Freundlichkeit sagen, dass sie die Sänger nicht bei ihrer Arbeit stört. Ansonsten handelt es sich eher um eine Verweigerung von Regie, um altbackenes, langweiliges Rampensingen in abgenutzten Posen und düsterer Kulisse.
Yannis Kokkos ist ein großer Bühnenbildner, die beweglichen Säulen und die Meeresimpressionen im Hintergrund lassen es zumindest ahnen. Er setzt auch als Regisseur auf die Kraft großer, statischer Tableaus, und das mag bei einer "Grand Opéra" ganz gut funktionieren. Aber "Idomeneo" ist ein Kammerspiel zwischen Menschen aus Fleisch und Blut. Ein Vater, dessen unbedacht und in höchster Not ausgesprochenes Gelöbnis an die Götter ihn zwingt, seinen eigenen Sohn zu opfern. Der ewige Konflikt zwischen menschlichem Empfinden und vermeintlich übergeordnetem göttlichen Gesetz: Das schreit nach politischer Deutung oder psychologischer Tiefenschärfe. Kokkos liefert weder das eine noch das andere. Aber selbst nach dem Prinzip "Augen zu und durch" ist der Abend ein Erlebnis.
Weitere Vorstellung heute um 20 Uhr. Karten: TV-Service-Center Trier, Bitburg und Wittlich sowie an der Abendkasse.
Info: www.theatres.lu

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