Die Bezaubernde entzaubert Deutschland

Kein Tisch. Kein Glas Wasser. Das Eifel-Literatur-Festival 2010 will gleich zu Beginn neue Seiten aufschlagen. Mit einem schonungslosen Blick auf die Realität und die Hingabe an die Lust zur Provokation.

 „Ich will ein gutes Mädchen sein. Doch das Verlangen holt mich ein“: Katja Riemann in Wittlich. TV-Foto: Klaus Kimmling

„Ich will ein gutes Mädchen sein. Doch das Verlangen holt mich ein“: Katja Riemann in Wittlich. TV-Foto: Klaus Kimmling

Wittlich. Böse. Sie ist so böse. Singt süß vom Tod, als wenn es die Liebe wäre. Lässt das R rollen und ihre voluminöse Stimme zu Schreien anschwellen. So klingt Katja Riemanns "Friedensreich - ein Doitschlandabend": der Start des Eifel-Literatur-Festivals in Wittlich.

Vor schwarz-rot-goldener Patchwork-Flagge mischt die Schauspielerin die bissig-zeitkritischen Texte von Sibylle Berg mit Liedern der Band Rammstein, begleitet vom Bluesgitarristen Arne Jansen.

600 Besucher erleben im Atrium des Cusanus-Gymnasiums, wie auf den ersten Blick belanglose Episoden aus dem Leben in Deutschland in ihren Details doch so viel von den Menschen verraten. Von deren Selbstsucht und Kurzsicht. Das Bild der Welt, in der Glück Vergangenheit ist: zynisch, spöttisch, bitter. Die Macher des Theater- und Fernsehprogramms, Journalisten, Spießer und Kleinstadtmenschen landen auf Riemanns und Bergs Schlachtbank.

Der Zuhörer nimmt ihr jede Kritik ab, vergisst, dass es nicht Riemanns eigene Worte sind. Nahtlos gehen sie über in Gesang, der die Bilder der Texte aufgreift. Rammsteins Metal- und Rock-Hymnen formt Riemann zu einfühlsamen Melodien, verbiegt sie bis zum Blues, spielt dazu Xylophon oder Melodika. Doch die Härte der Texte bleibt, und so singt sie von der Lust, zu sterben, von Verderben, Zerstörung und Hass. Dann kreischt und stöhnt sie, lässt, wie bei Knorkators "Böse", ihre Stimme schaurig widerhallen. "Ich will ein gutes Mädchen sein. Doch das Verlangen holt mich ein."

Dabei sind es die humorvollen Momente, in denen sie sich über den ökologischen, Mens truationsschwämmchen ausklopfenden, Menschen und die in Sadismus, strategischer Kriegsführung und Bulimie ausgebildeten Boutiquen-Verkäuferinnen lustig macht, die unterhaltsamsten für das Publikum. Aber: "Gute Laune ist was für Proleten."

Organisator Josef Zierden legt diesen Abend am Ende als Befriedigung der "heimlichen Lust des Festivals dar, immer mal wieder anregend zu provozieren und Denkanstöße zu geben". Auch Mut gehört eben zum Geschäft. Ein Geschäft, das ihm reichlich Lob einbringt. Wittlichs Bürgermeister Joachim Rodenkirch nennt die Veranstaltungsreihe ein "Festival der Superlative, das zu den wichtigsten Literaturevents in Deutschland zählt".

Joachim Hofmann-Göttig - der sich an diesem Abend als Kultur-Staatssekretär verabschiedet, da er im Mai den Posten des Koblenzer Oberbürgermeisters antritt - sagt mit Blick auf Riemann: "Es ist wirklich großartig, wenn man eine so bedeutende Künstlerin hautnah kennenlernen darf." So dass Zierden im Anschluss gesteht: "Literatur kann eben auch ein Alibi sein, aufregende Frauen in die Eifel zu holen."

Die nächsten Veranstaltungen: Roger Willemsen mit "Bangkok noir - Ein Multimediaabend" am Freitag, 30. April, 20 Uhr, in Prüm; Rafik Schami, "Wie ein Meistererzähler aus 1001 Nacht", am 6. Mai in der Prümer Karolingerhalle.

Karten gibt es in den TV-Servicecentern Trier, Bitburg und Wittlich, unter der TV-Tickethotline 0651/7199-996 sowie unter www.volksfreund.de/tickets. Infos: www.volksfreund.de/extra oder www.eifel-literatur-festival.de

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