"Die Bilder sind mit Blut gemalt"

WITTLICH. "Bilder aus dem Warschauer Ghetto" von Teofila Reich-Ranicki sind ab Samstag, 27. Januar, in der Wittlicher Synagoge zu sehen, dazu Faksimiles ihrer Ausgabe von Erich Kästners "Lyrischer Hausapotheke". Der TV sprach mit der Frau von Marcel Reich-Ranicki.

 Teofila Reich-Ranicki zeichnete den Schrecken im Warschauer Ghetto. TV-Foto: Eva-Maria Reuther

Teofila Reich-Ranicki zeichnete den Schrecken im Warschauer Ghetto. TV-Foto: Eva-Maria Reuther

"Ich habe Angst" - dreimal unterstrichen hat sie das Ende der Textzeile in Erich Kästners Gedicht. Teofila Reich-Ranicki weiß, was Angst ist. Von 1940 bis 1943 war sie mit ihrer Mutter im Warschauer Ghetto interniert. Es war ein Leben im Angesicht des Todes: "Wir hatten keine Hoffnung, nur dank sehr vieler Wunder haben wir das Ghetto überlebt". Bis heute sind die Wunden offen. "Es fällt mir immer noch schwer, über jene schreckliche Zeit zu sprechen", gesteht die zierliche weißhaarige Frau. Feinnervig wirkt sie wie die Zeichnungen an der Wand ihres Frankfurter Wohnzimmers. Aus jener Zeit des alltäglichen Grauens stammt ihr aquarellierter Zeichenzyklus "Bilder aus dem Warschauer Ghetto". Hat sie damals um ihr Leben gezeichnet? Die Stimme der alten Dame wird hart: "Ich wollte, dass die Nachwelt durch meine Bilder die Wahrheit über das Ghetto erfährt. Ich war ja zum Tode verurteilt". Einen Augenblick hält sie erschöpft inne. Leise klirren die Teetassen. Mit fester Stimme fährt sie fort: "Die Bilder sind mit Blut gemalt". Für die 1920 geborene Teofila Langnas hatte der Schrecken schon früher begonnen. 1939 war sie mit ihren Eltern aus der Heimatstadt Lodz vor den Deutschen in die Enge zweier Zimmer nach Warschau geflohen. Ihr Vater - ein enteigneter Textilfabrikant - erhängte sich dort im Januar 1940. Ein paar Monate später mussten Mutter und Tochter ins Ghetto umziehen. Am Todestag ihres Vaters lernte sie ihren späteren Mann, den Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki kennen. Am 22. Juli 1942, dem ersten Tag der Deportation der Warschauer Juden in die Gaskammern von Treblinka, heiratete sie ihn. "Mein schönster Tag war auch mein schrecklichster". Intelligent und charmant sei der junge Marcel Reich gewesen, gefesselt habe sie sogleich seine Liebe zur Literatur. Und doch: "eine grässliche Zeit für ein junges Paar". Gemeinsam hätten sie gelesen: "Marcel hat mir die deutsche Literatur nahe gebracht, ich ihm die polnische". Zum 21. Geburtstag schrieb sie für ihn jene 56 Gedichte aus Erich Kästners "Lyrischer Hausapotheke" ab und illustrierte sie.Hunger und Gewalt bestimmen Alltag

"Normalität gab es im Ghetto nie", erinnert sich die alte Dame, "man gewöhnte sich höchstens an den Alltag dort." Den bestimmten Hunger, Seuchen, Gewalt und der Kampf ums Überleben: "Ich habe Bonbons und alles mögliche zu verkaufen versucht". Später betätigte sich die talentierte junge Frau, die Modedesignerin hatte werden wollen, als Gebrauchsgrafikerin und malte Schilder mit "Eintritt verboten" und ähnliches. 1943, kurz vor dem Ghetto-Aufstand gelang dem Ehepaar die Flucht. Seit 1958 leben die Reich-Ranickis in Deutschland. "Die Umsiedlung hat mich große Überwindung gekostet", sagt Teofila Reich-Ranicki. Am Anfang habe sie die Deutschen gehasst. "Jeden Deutschen, den ich gesehen habe, hatte ich in Verdacht, dass er in Auschwitz oder irgendwo den Knopf gedrückt hat." "Nazis raus" fordert ein Schild ein paar Straßenzüge vom Haus der Reich-Ranickis entfernt. Ob sie sich heute sicher fühlt? Das Misstrauen sitzt tief. Die ältere Generation sei häufig noch von den alten Zeiten vergiftet, glaubt Teofila Reich-Ranicki. "Aber die jüngere Generation prägt anderes." Mit Hilfe ihrer Tante hätte sie seinerzeit aus dem Ghetto fliehen können - allerdings ohne ihren Mann. Sie lehnte ab. "Dann hätte ich nicht mehr gewusst, wofür ich leben sollte", sagt Teofila Reich-Ranicki. Sie würde wieder so entscheiden. Info: Ausstellung in der Synagoge Wittlich bis 17. Juni, Di- So sowie feiertags 14-17 Uhr Eröffnung 27. Januar, 20 Uhr Einführung: Fritz Backhaus , Jüdisches Museum Frankfurt am Main

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