Kulturmacher Laptop und Laufschuhe sind für Stefan Gemmel nicht alles

Lehmen/Morbach · Die Corona-Krise fordert auch dem Buchautor Stefan Gemmel einiges ab: Vier Lesereisen des Hunsrückers fielen aus. Auch eine Großveranstaltung musste er verschieben. Jetzt macht er auf seine Kinder- und Jugendbücher mit originellen Aktionen aufmerksam und schildert, wie sich die Pandemie auf den Literatur-Betrieb auswirkt.

Schreiben kann der Kinderbuchautor Stefan Gemmel überall. Feste Rituale hat er dabei nicht.

Schreiben kann der Kinderbuchautor Stefan Gemmel überall. Feste Rituale hat er dabei nicht.

Foto: Pfitzner Consulting and Photography/Pfitzner Consulting & Photograph

Schriftsteller sind Menschen, die sich in ihren Wohnungen hinter der Schreibmaschine verkriechen und dort Tag und Nacht arbeiten. So weit das Klischee. Trifft das auch auf den 50-jährigen Stefan Gemmel zu? Gemmel hat sich, so sagt er selbst, „keine Rituale fürs Schreiben angewöhnt“. Der gebürtige Morbacher schreibt stets dort, wo er gerade ist und in der Zeit, in der das Schreiben möglich ist. Wenn er sich auf Lesereisen befindet – und das sind immerhin vier Monate im Jahr – arbeitet er abends im Hotelzimmer an seinem jüngsten Projekt. Ist er zu Hause, entstehen diese Bücher zwischen all den „Alltagsdingen, die getan werden müssen“. Und wenn ihm mal nichts einfällt? „Dann ziehe ich mir meine Sportschuhe an und fange an zu laufen.“ Und meist stellen sich dann schon nach einigen Kilometern neue Ideen ein.

Laptop und Laufschuhe – viel mehr braucht der verheiratete Vater zweier Töchter zum Schreiben nicht. So gesehen müsste er doch in der Corona-Krise gut klarkommen. Aber: „Tatsächlich lässt es sich aber schwer kreativ arbeiten, wenn wenn man sich zeitgleich viele Sorgen macht.“ Schließlich wurden ihm vier ganze Lesereisen und mehr als 30 Einzelveranstaltungen abgesagt. Sehr viele Kollegen verdienen ihren Lebensunterhalt mit Lesungen und Workshops. „Das heißt, dass wir alle seit Wochen nichts verdienen.“ Von vielen Autoren weiß er, dass sie Hilfen der Regierung angenommen haben, was ihnen eine enorme Entlastung gebracht habe. Diese Hilfe habe einige Kunstschaffende vor der Existenznot bewahrt. Gemmels Familie und er kommen bis September noch klar. Erst danach könne es sein, dass er die Staatshilfen in Anspruch nehmen muss.

Eine Sorge des Lehmeners (Kreis Mayen-Koblenz) in der Krise galt und gilt dem Buchhandel. Dieser sei „sehr betroffen“ gewesen durch das inzwischen aufgehobene Ladenöffnungsverbot. Ohne Buchläden würde „unsere Bücherwelt eine sehr traurige und eintönige Landschaft darstellen“. Er habe sich schon immer in Lesungen dafür ausgesprochen, Bücher im Geschäft zu kaufen. Er erinnert auch an kreative Aktionen wie Verkaufstische vor den Geschäften, um dem „Kaufen-to-go“ gerecht zu werden. Außerdem habe er von „wunderbaren Stammkunden“ gehört, die für hohe Beitrage Gutscheine gekauft oder einfach nur gespendet hätten.

Jetzt blickt die ganze Branche Richtung Frankfurt, wo im Oktober die Buchmesse geplant ist. Alle hofften, dass diese auch stattfinden könne. Schließlich sei die Absage der Schwesterveranstaltung in Leipzig im März dieses Jahres ein „ziemlicher Schock für den Literaturbetrieb gewesen“. Für Schriftsteller bedeute dies, dass sie neue Bücher dort nicht bewerben konnten und dass auch Projektbesprechungen ausfielen. Noch immer sei die Lücke zu spüren, die diese Absage hinterlassen hat. Gemmel selbst sei dennoch in Leipzig gewesen, denn das Rahmenprogramm „Leipzig liest“ habe trotzdem stattgefunden. Vor allem habe er sich aber vor die leeren Messehallen gestellt und dort online eine „Trotzdem-Lesung“ gemacht, die übrigens auf seiner Internet-Seite zu finden ist.

Apropos Internet: Derzeit macht er Werbung für seine Werke über  Online-Lesungen und andere Internet-Aktionen. Er probierte verschiedene Formate aus: aufgezeichnete Lesungen, bei denen ein wirklicher Kontakt zu den Zuhörern nicht stattfinde, und Live-Online-Veranstaltungen. Dabei sieht er seine Leser zwar nicht, aber sie schauen live zu und können ihm über Textzeilen Fragen oder Kommentare schicken, die er in Echtzeit sieht und auf die er eingehen kann. Das hält er für eine sinnvollere Alternative. Allerdings fehle dennoch der „spontane Moment“, wie er sagt, etwa ein neugieriges Reinrufen oder ein Frage-und-Antwort-Gespräch. Amüsant ist auch sein Beitrag zur Instagram-Challenge „BücherundSeife“, bei der er sein jüngstes Buch in dem Zeitraum vorstellt, die er zum Händewaschen braucht (ebenfalls auf seiner Homepage zu sehen). Zurzeit testet und entwickelt er neue Formate. Vor allem die komplizierten Datenschutzverordnungen würden ihn dabei immer wieder ausbremsen. Da brauche es andere Plattformen, die datenschutzkonform seien, die aber meistens nicht jeden Nutzer zulassen. Gemmel: „Das ist noch ein ziemlich weites Feld, auf dem wir Autoren lange Zeit ackern werden.“

Die 50 Werke des „Moselaners mit Hunsrücker Migrationshintergrund“, wie er über sich selbst sagt, sind in 21 Sprachen übersetzt, darunter Koreanisch, Serbisch und Bambara (Mali). Einige Bände scheinen den Nerv von Kindern rund um den Globus zu treffen. „Auch wenn wir zum Teil anders aussehen und völlig verschiedene Lebenswirklichkeiten haben“, so gebe es doch einige Dinge, die alle umtreiben. Gefühle wie Freude, Angst und Trauer oder auch die Sorge um Freundschaften, Familie und Zukunft gingen alle Menschen an.

Und Bücher von ihm, die sich mit diesen Themen beschäftigen, seien Bände, die am meisten übersetzt werden. So wie sein jüngstes Buch „Lucas und der Zauberschatten“ für Mädchen und Jungen ab neun Jahren. Der Protagonist Lucas ist mit einer Mutprobe konfrontiert, von der er nicht weiß, ob er sie besteht. Aus dieser Situation entwickelt sich ein Abenteuer, das ihn quer durch die Zeit bis zum Hof von König Arthus führt. Dort bekommen er und seine Freunde es mit einer „übermächtigen Magie“ zu tun.

Gerade jetzt seien Bücher extrem wichtig: „Kinder können von zu Hause in ferne Länder reisen und sich damit eine Pause von den Sorgen gönnen, die Corona mit sich bringt.“

Was viele nicht wissen: Gemmel liest und schreibt nicht nur, sondern er fördert auch junge Talente. Schreiben sei für junge Menschen ein „wunderbares Ventil, sich ihrer  Gefühle bewusst zu werden“. Aber manche wüssten nicht, wohin mit ihrer Kreativität. Und da könne er helfen und zeigen, wie man Ideen kanalisiert und in eine Form bringt. Diese Zusammenarbeit habe auch schon zu Veröffentlichungen geführt. Als Beispiel nennt er die damals zwölfjährige Joana Hessel, die er mehr als ein Jahr lang bei ihrem Buchprojekt begleitetete, bis ihr Manuskript „Elfenspuren“ schließlich im Verlag edition zweihorn erschien.

Und wenn wir schon über andere Autoren sprechen: Welchen Schriftsteller würde Stefan Gemmel denn selbst gern kennenlernen? Sein Lieblingsautor ist Paul Auster, der amerikanische Schriftsteller, der seiner Meinung nach schon längst auf die Nominierten-Liste für den Nobel-Preis gehört. Er schreibe immer wieder überraschend und in völlig verschiedenen Stilen. Kinderbücher liest Gemmel übrigens nicht. „Davor habe ich Angst“, sagt er. Denn es könne sein, dass er eine Idee verinnerliche und sie Jahre später selbst verwende, ohne sich bewusst daran zu erinnern.

Gemmel hat im Zusammenhang mit Lesungen bereits drei Weltrekorde aufgestellt. Im Januar verriet er dem Trierischen Volksfreund, dass er etwas Neues vorhabe. Doch spruchreif sei es noch nicht. Der Grund: das Covid-19-Virus. Denn Großveranstaltungen seien erstmal nicht möglich. Und Sponsoren hätten ihn gebeten, mit der Aktion zu warten. Im Moment stehe das „Projekt tatsächlich auf wackeligen Beinen“. Da heiße es „Daumen drücken“.

Vier komplette ­Lesereisen ­wurden ­Stefan­ Gemmel ­abgesagt. Dadurch hat er mehr Zeit, die Gegend rund um Lehmen an der ­Mosel zu erkunden.

Vier komplette ­Lesereisen ­wurden ­Stefan­ Gemmel ­abgesagt. Dadurch hat er mehr Zeit, die Gegend rund um Lehmen an der ­Mosel zu erkunden.

Foto: Pfitzner Consulting & Photography

Online-Formate des Autors Stefan  Gemmel sind auf seiner Internetseite www.gemmel-buecher.de zu sehen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort