Die Expedition ins Neuland ist geglückt

Trier · Ein Kraftakt für Sänger, Tanz-Ensemble, Orchester, Chor, Werkstätten und Regie: Die Columbus-Oper "The Voyage" fordert Enormes von dem kleinen Trierer Theater. Dirigent Valtteri Rauhalammi und Regisseurin Birgit Scherzer gelingt ein fantasievoller, spartenübergreifender Mix von Oper und Tanztheater.

 Ausdrucksstark: Joana Caspar (Sopran) als Raumschiff-Kommandantin. TV-Foto: Friedemann Vetter

Ausdrucksstark: Joana Caspar (Sopran) als Raumschiff-Kommandantin. TV-Foto: Friedemann Vetter

Trier. Die Musik von Philip Glass bewegt sich, was die Wirkung beim Konsumenten angeht, ähnlich wie gregorianische Gesänge oder Techno-Sound auf einem schmalen Grat: Was bei dem einen für rauschhafte Begeisterungszustände sorgt, empfindet der andere als ermüdende Übung. Das hat mit der Einfachheit der musikalischen Konstruktion zu tun, und mit dem Prinzip der Wiederholung bei minimaler Variation. Manchmal wohl auch nur mit der Tagesform des Betrachters oder der Härte des Stuhls, auf dem er sitzt.
Dass bei der Trierer "Voyage" das Pendel beim Publikum klar in den positiven Bereich ausschlägt, hat mit einem Glücksfall zu tun: Musikalisch wie szenisch schafft die Produktion das Kunststück, die Stärken des Werks herauszuheben und die Schwächen in den Hintergrund treten zu lassen.
Birgit Scherzer hat ihre ganze Choreographen-Fantasie aufgeboten, um den vier miteinander verwobenen Entdecker-Geschichten szenisches Leben einzuhauchen. Im Prolog schwebt ein Wissenschaftler im Rollstuhl hoch über der Bühne und formuliert den ewigen Widerspruch zwischen dem Bedürfnis des Menschen, neue Horizonte zu erforschen, und den damit verbundenen Gefahren und Risiken - derweil im Hintergrund die Ursuppe in Gestalt des Chors brodelt.
Im ersten Akt entwickelt der Abend eine außerordentliche Faszination. Die Bruchlandung eines Raumschiffs auf der Erde, die Auseinandersetzung der Astronauten (Evelyn Czesla, Svetislav Stojanovic, Carlos Aguirre) mit ihren Wünschen und Illusionen, vor allem aber ihre Begegnung mit urtümlichen Eiszeit-Menschen ist eine hochspannende Angelegenheit. Die Annäherung der Raumschiff-Kommandantin (Joana Caspar, Sopran) an einen einsamen Erdenbewohner (René Klötzer, Tanz): eine grandios gelungene Symbiose der Ausdrucksmittel von Oper und Tanztheater, bei der vor allem die Sängerin über ihren Schatten springen und sich auf ein ungewohntes Bewegungsrepertoire einlassen muss.
Wie überhaupt die Sänger und der Chor mächtig gefordert sind was den körperlichen Einsatz angeht - eine Herausforderung, die sie toll meistern. Sollte auf der Trierer Bühne jemals wieder ein Chor ungelenk herumstehen, ist eines klar: Es liegt nicht an den Sängern, sondern an der Unfähigkeit des Regisseurs.
Birgit Scherzers Motivationskunst findet ihre Entsprechung im Talent von Valtteri Rauhalammi, Leben in die Partitur zu bringen. Er drängt alles Mechanisch-Wiederholende zurück, entwickelt feine dynamische Schattierungen, bringt Spannung in die Musik, gibt dem Affen auch schon mal Zucker - da, wo es möglich ist. Die Trierer Philharmoniker arbeiten präzise, rhythmussicher und in den besten Momenten so, dass man ihnen die Anstrengung, die diese Musik bereitet, nicht anmerkt. Die komplizierte Koordination zwischen Graben und Bühne stimmt vom ersten bis zum letzten Moment.
Leider hält das Stück die Qualität, die ihm schon zur Pause einen ungewöhnlich langanhaltenden, intensiven Beifall einbringt, in der zweiten Hälfte nicht durch. Das liegt nicht an dem eindrucksvollen, mobilen Bühnenbild von Knut Hetzer, das immer wieder Projektionsflächen für Scherzers lebende Bilder mit ihrer hohen Suggestionskraft liefert, und auch nicht an den starken Kostümen von Alexandra Bentele, die weniger auf Individualisierung setzen als auf Einordnung ins Gesamtbild.
Das Problem ist, dass dem Komponisten die Luft ausgeht, dass das Libretto immer beliebiger Tiefsinniges und Triviales aneinanderreiht. Entfalten die Visionen des Columbus (eher kraftvoll als filigran: Alexander Trauth) und seiner Königin Isabella (souverän trotz angesagter Indisposition: Claudia-Denise Beck) anfangs noch die Faszination eines Fiebertraums, dominiert im letzten Drittel der Oper das Gefühl bleierner Leere. Zum Glück hält Scherzer auch hier dagegen, arbeitet die Zwiespältigkeit menschlichen Entdeckertums in vielen Facetten heraus.
Am Schluss kräftiger Beifall für die Leistung des Trierer Theaters. Bei manchem freilich unterlegt mit der Erkenntnis, dass "The Voyage" nicht ganz zufällig den Weg ins allgemeine Repertoire verfehlt hat.

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