Die Geschichte, die man schon hat

Hofweiler/Meckel · Das Architektenpaar Rainer Roth und Christine Schwickerath hat eine alte Scheune in Hofweiler zu einem modernen Einfamilienhaus umgebaut - und so ein altes Gemäuer in eine neue Zukunft geführt. Dafürs gab’s unter anderem den Landbaukulturpreis 2016.

Die Geschichte, die man schon hat
Foto: (g_kultur
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 Große Fenster geben den Blick frei in die weite Landschaft (Foto links) und lassen gleichzeitig Licht in die von Christine Schwickerath und Rainer Roth umgestaltete Scheune. Außerdem besteht so ein dauerhafter Kontakt nach außen.

Große Fenster geben den Blick frei in die weite Landschaft (Foto links) und lassen gleichzeitig Licht in die von Christine Schwickerath und Rainer Roth umgestaltete Scheune. Außerdem besteht so ein dauerhafter Kontakt nach außen.

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Hofweiler/Meckel Früher war alles besser? Vielleicht. Zumindest gefühlt gab es mehr Zeit, mehr Raum für Individualität, weniger Hektik und Leistungsdruck. Auf jeden Fall war vieles anders. Am deutlichsten merken dies bestimmte Berufsgruppen, Landwirte zum Beispiel. Kaum ein Berufsbild hat sich in den letzten 50 Jahren so stark verändert wie das des Bauern. Vom kleinen Familienhof mit selbstversorgerischen Wurzeln zum oftmals Ein-Mann-Hochleistungs-Betrieb. Vorbei sind die Zeiten, in denen Landwirte mit ein paar Tieren in jedem kleinen Dorf zu finden waren. In denen es aus Höfen herausmuhte oder gackerte. Die Tiere haben das Dorf verlassen, und mit ihnen die Bauern. Zurück blieben alte Gebäude, die ihren Nutzen verloren haben.
Die alten Bauernhäuser, die oftmals auf den ersten Blick als schön und wohnenswert erkannt werden konnten, wurden saniert und auf den neusten energetischen Stand gebracht. Und damit blieben sie vor allem eines: dauerhaft belebt. Die damit verwachsenen alten Ställe oder Scheunen standen meist weiterhin leer und verfielen vor sich hin, bis sie letzten Endes reif zum Abriss waren. Denn bleibt ein Haus nur lange genug unbewohnt, ist es irgendwann kaum noch zu retten. Etwas was Rainer Roth und Christine Schwickerath richtig schade finden.
Der Architekt und seine Frau, die studierte Modedesignerin, arbeiten im gemeinsamen Architekturbüro in Meckel. Einer ihrer Arbeitsbereiche und Steckenpferde ist das Wiedernutzbar- und Belebbar-machen von alten Gebäuden; darunter oft die sogenannten Trierer Einhäuser, eine architektonische Besonderheit der Region.
Früher wurden Bauernhäuser so gebaut, dass Leben und Arbeiten eine Einheit bildeten, die Familie lebte im Haus, das direkt an die Ställe und Scheunen angrenzte, so Christine Schwickerath. "Das waren stattliche Höfe, jeder hat Wert gelegt auf sein Haus, auf seinen Stall, seine Scheune. Das bildete damals eine wichtige Einheit, die gepflegt wurde," sagt die 45-Jährige. Heute stünden Hof und Anwesen unter einem stark wirtschaftlichen Gesichtspunkt.
Die neue Landwirtschaft, so ihr Mann Rainer Roth, erfordere ganz andere Dinge. Allein die Lagerhaltung sei eine andere, es gebe nicht mehr zwei oder drei Kühe pro Hof, sondern oftmals 200 bis 300.
"Deswegen stehen viele der alten Ställe und Scheunen leer, sie sind heute einfach nicht mehr brauchbar." Dabei sind es teils große Gebäudeflächen, die Jahr um Jahr vor sich hin verfallen. Schade sei es dabei nicht nur um die brachliegenden Ressourcen, sondern auch um die Erscheinung eines Dorfes: "Diese Gebäude geben einem Ort einen Charakter und ein Gesicht, zudem bilden sie Straßenräume und Strukturen. Verschwinden diese Gebäude, stehen nur noch vereinzelte Häuser ohne Zusammenhang im Ort", sagt Schwickerath.
Deswegen fühle man sich in gewachsenen Dörfern und alten Städten auch oft wohler als in frisch errichteten Neubaugebieten. Auch deswegen sei es wichtig, diesen Gebäuden einen neuen Nutzen zu geben, zudem könne man so ein Stück eigene Kultur bewahren.
Roth und Schwickerath haben für den Umbau einer Scheune in Hofweiler unter anderem den Landbaukulturpreis 2016 bekommen. Als eines von drei Projekten aus der Region konnten sie den Preis in Berlin entgegennehmen. Der Stifter des Preises, Franz-Josef Möllers, war ähnlich wie Roth und Schwickerath der Ansicht, dass der kulturelle Aspekt aus der landwirtschaftlichen Bauweise verschwindet. Deshalb rief er den Preis ins Leben, um Beispiele aufzuzeigen, die einen Beitrag zum Erhalt dieser bäuerlichen Kultur leisten. "Das Schöne mit dem Nützlichen zu verbinden, muss der Bauer lernen", lautet das Motto mit dem er so oft zitiert wird. Andersherum funktioniert es allerdings auch: Das das Nützliche auch schön sein kann, ist für viele genauso unbegreiflich. Dabei gelte es hier auch, bestehende Chancen zu nutzen. "Es handelt sich hier ja um existierende Gebäude, man kann sich nicht einfach entscheiden eine alte Scheune neu aufzubauen. Man muss diese Gebäude bereits haben, um etwas daraus zu machen," so Schwickerath.
Immerhin habe man früher mit ganz anderen, massiven Materialien gearbeitet, die ihre eigene starke Ausstrahlung haben und für eine viel längere Lebensdauer gebaut worden waren. So dass man sie eben heute noch nutzen kann. Wenn auch für einen anderen Zweck als ursprünglich gedacht.
Und deswegen müssten zu Beginn und während einer Bauphase viele Entscheidungen getroffen werden, und vor allem die richtigen.
2014 haben Roth und Schwickerath das Scheunen-Projekt der Familie Schiltz in Hofweiler in Angriff genommen: Ein altes Bauernhaus sollte umgebaut werden, der frisch verheiratete Sohn des Hauses wollte zusammen mit seiner Familie in sein Elternhaus einziehen. Er sollte ein Stockwerk bewohnen und seine Eltern das andere. Schade, dachten sich die beiden Architekten, dieses alte Haus innen völlig umzugestalten, wenn doch direkt daneben eine große Scheune praktisch leer steht. Ein halb eingegrabener Kartoffelkeller, Stellplatz für landwirtschaftliche Maschinen, oben ein nicht mehr genutzter Kornspeicher. Wirklich schade, dachten sich die beiden und überzeugten die Familie, die alte Scheune statt des Elternhauses in Angriff zu nehmen.
"Bei der Scheune in Hofweiler haben wir als allererstes Licht reingebracht," sagt Schwickerath und erklärt weiter: Auf dem Dach hatten sie einen "Lichtkamin" eingesetzt, durch den Tageslicht in das tiefe Gebäude fällt, zudem hatten sie das Nebengebäude abgerissen, sodass ein Hinterhof entsteht, große Fensterfronten sorgen für einen Blick in die unverbaute Landschaft. Aber auch gewisse Elemente der Scheune haben ihren Platz im modernen Einfamilienhaus behalten.
"Das Besondere an diesem Gebäude ist die Geschichte, die es schon hat. Da wurde in den letzten Jahrzehnten bereits dran gebaut, und wir wollten, dass dies in dem Mauerwerk auch weiterhin sichtbar bleibt." Die Geschichte des Hauses sollte erhalten bleiben, da sie auch die Geschichte der Familie beinhaltet. "Diese Menschen sind verbunden mit ihren Häusern, dort haben sie etwas erlebt, gearbeitet. Das wollten wir wieder sichtbar machen."
Und das am besten gleich im ersten Moment, praktisch, wenn man mit der Tür ins Haus kommt: "Das Holz für die Haustür haben wir gelagert in der Scheune gefunden", erzählt Schwickerath. Eine Tür aus Eichenholz aus dem eigenen Wald, gemeinsam mit der gesamten Familie gebaut und mit Eisennägeln beschlagen. Die Fertigstellung der Tür war der Abschluss des Hauses.
"Es war uns wichtig, dem neuen Eingang eine Bedeutung und Charakter zu verleihen und nicht einfach eine Tür aus dem Katalog zu verwenden, die Tür ist eben ein Teil von allem." Und ein Sinnbild für die Geschichte der Familie: Holzanbau gehe über ganze Generationen, die Großeltern pflanzten Bäume an, damit die Enkel irgendwann etwas davon haben. So habe man früher gedacht. "Das gehört zum Verankern der Familie mit dem eigenen Land und dem eigenen Arbeiten. Das ist ein Stück Identität, die eben auch verloren geht, wenn man etwas wegreißt und ein Haus aus dem Katalog dahinstellt."
Heike Schiltz steht auch heute nach über einem Jahr noch manchmal ungläubig in ihrem eigenen Haus. "Wir fragen uns oft, ob das wirklich unser ist", sagt die Frau von Stefan Schiltz, dem Sohn der Familie, in deren alten Scheune sie nun leben. "Wir kannten es schon, als hier noch Getreide und Zwiebeln gelagert wurden und Traktoren untergestellt waren. Im Gewölbekeller der Scheune wurden öfter Parties gefeiert." Die junge Immobilienverwalterin pendelt von Hofweiler zur Arbeit nach Trier, aber ein Leben in der Stadt könnte sie sich nicht vorstellen.
Am Landleben schätzt sie vor allem eines: die Weite. Steht man in ihrer loftähnlichen Küche, meint man in München oder Berlin zu sein, schaut man aus dem Fenster, picken die Hühner in der Eifellandschaft. Sie könne sich nicht vorstellen, diesen Ausblick gegen die Enge der Stadt zu tauschen.
Oder so weit von der Familie entfernt zu sein: "Ich bin selbst auf dem Land aufgewachsen und kenne das Dorfleben - und dass viele Menschen in der Nähe sind. Man lebt in einem Dorf in einer Gemeinschaft, in der dennoch jeder seine privaten Bereiche hat."
Der Trierische Volksfreund stellt die drei Preisträger des Landbaukulturpreises vor. Hier geht's zu den Artikeln: www.volksfreund.de/baupreis Preisgekrönte Heimat

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