Die Hauptstadt der Kulturdemontage

Trier · Vor 45 Jahren, Anfang Oktober 1967, beschloss der Stadtrat in Trier, das Theater und das Orchester deutlich zu reduzieren. Was sich damals abspielte, eignet sich zum Lehrstück - über Einsparungen in der Kultur und ihre Folgen.

 Das Trierer Orchester in den 1960er Jahren. In der Mitte GMD Rolf Reinhardt. Foto: privat

Das Trierer Orchester in den 1960er Jahren. In der Mitte GMD Rolf Reinhardt. Foto: privat

Trier. Die drei unscheinbaren Aktenmappen bergen eine Kostbarkeit - kostbar jedenfalls für alle, die aus der Trierer Theatergeschichte lernen wollen. Fred Griesau, ehemals Solopauker der Trierer Philharmoniker, hat Zeitungsartikel und Programmhefte aus den Spielzeiten 1966/67, 1967/68 und 1968/69 gesammelt und damit die bislang größte Trierer Theaterkrise seit Kriegsende dokumentiert.
Das Trierer Orchester galt Mitte der 1960er Jahre als das beste in Rheinland-Pfalz. Für Griesau, der 1959 von Stuttgart nach Trier wechselte, waren die Jahre bis 1968 unter Generalmusikdirektor (GMD) Rolf Reinhardt künstlerisch ein Glücksfall. "Ich fand sie gut, und die meisten Kollegen auch", sagt er zurückhaltend, aber deutlich.
Exodus der Führungsspitze


Von Dauer war diese Periode nicht. Theater und Orchester in Trier wurden 1967 in die Haushaltspolitik der öffentlichen Hand hineingezogen. Auslöser war eine Kürzung der Landesmittel zum Theateretat um 430 000 DM. Die Stadt, die den Fehlbetrag übernehmen sollte, nahm das zum Anlass, den Theaterzuschuss um 600 000 DM auf gut 1,5 Millionen DM zu kürzen.
Am 3. Oktober 1967 beschloss der Trierer Stadtrat mit der absoluten CDU-Mehrheit und damit 25 gegen 20 Stimmen deutliche Kürzungen beim Theater. Das Ballett wurde aufgelöst und der Chor von 24 Mitgliedern auf 16 reduziert. Das Orchester sollte von 49 Musikern auf ein Theaterorchester mit 36 Mitgliedern und abgesenkten Gehältern herabgestuft werden. Statt des autonomen und nur der Stadt unterstellten GMD installierte man einen Musikdirektor, der der Intendanz unterstand. Das führte zu einem Exodus der Führungsspitze. Intendant Dr. Meyer wurde aus dem laufenden Vertrag entlassen, was die Stadt 120 000 DM an Gehalts-Nachzahlungen kostete. GMD Reinhardt wechselt zum Ende der Spielzeit 1967/1968 an die Musikhochschule Frankfurt. Im Orchester ging die Furcht vor Arbeitslosigkeit um. "Wir lebten in allgemeiner Angst", sagt Griesau, "wie hätte ich meine junge Familie durchbringen können?"
Erstaunlich ist, dass sich energischer Widerstand erst regte, als die Reduzierungs-Entscheidung schon gefallen war. Unter Führung des Musik liebenden Winzers Ulrich von Fumetti formierte sich ein "Philharmonischer Verein" mit prominenter Besetzung - Mitglieder waren unter anderen Domkapellmeister Paul Schuh, Fred Brusberg und Friedrich Meinardus vom Städtischen Musikverein und Hanns Simon, Bitburger Brauerei. Der Verein startet eine Aktion zur Rettung des Orchesters und brachte rund 11 000 Unterschriften ein. Obwohl sich die Forderungen vor allem an das Land richteten, reagierte die Stadtspitze indigniert. Sie verweigerte mit dem "Privatmann Fumetti" jedes Gespräch und lehnte ein Finanzierungsangebot des Vereins rundweg ab. Auch der besonnene Aufruf von TV-Lokalchef Norbert Kohler an Theaterleitung, Kulturausschuss, Stadtspitze und Stadtrat, nicht Finanzierungsfragen, sondern vor allem die Qualität und Publikumsnähe der Aufführungen in den Mittelpunkt der Diskussion zu stellen, verhallte allem Anschein nach wirkungslos.
Eine Blamage für Trier


Ein Auftritt von Oberbürgermeister Josef Harnisch und Kulturdezernent Emil Zenz in einer Sendung des ARD-Magazins "Panorama" lief nach dem Urteil beider Trierer Tageszeitungen sogar auf eine offene Blamage hinaus. Trier präsentierte sich in der überregionalen Öffentlichkeit als Hauptstadt einer bundesweiten Kulturdemontage. Immerhin gelang es in Verhandlungen zwischen dem Orchestervorstand unter seinem Vorsitzenden Julius Scheibner, der zuständigen Gewerkschaft und der Stadt, den Status eines "Kulturorchesters" mit eigenständigen Sinfoniekonzerten zu erhalten. Das ursprüngliche Einsparziel war dann allerdings nicht mehr zu halten.
Als Intendant Walter Pohl nach aussichtsreichem Start im Februar 1969 erste Ergebnisse der laufenden Spielzeit vorstellte, musste er einräumen, "nicht alle Versuche" seien geglückt. Damals fiel die Bilanz von TV-Kulturchef Egon Treppmann zur Reduzierung und ihren finanziellen Folgen vernichtend aus. "200 000 DM sind durch die Ergebnisse des leidigen Orchesterstreites bereits nicht mehr einzusparen, Tariferhöhungen respektablen Umfanges stehen bevor, so dass also, nimmt man alles in allem, die nächst Spielzeit wieder so teuer werden dürfte wie die verflossene 1967/68, nämlich über vier Millionen DM, wovon die Stadt die Hälfte als Zuschuss aufwenden muss. Und dies für einen bereits reduzierten Spielkörper!"
Stimmt Treppmanns Rechnung, dann wurde im Theater viel abgebaut und fast nichts eingespart. Die späte Revision der Entscheidung zehn Jahre danach liest sich wie das Eingeständnis einer Fehlentscheidung. Aber die Personen hatten gewechselt und mit ihnen auch die Politik. Mit Carl Ludwig Wagner als OB und Kulturdezernent Walter Blankenburg standen jetzt Politiker mit ausgeprägter Nähe zum Theater an der Stadtspitze. Die Folgen aus dem Beschluss von 1967 waren nicht mehr korrigierbar. Trotz der Wiederaufstockung - Trier hat den Ruf, das beste Orchester in Rheinland-Pfalz zu besitzen, ein für allemal verspielt.
Meinung

Lehren aus der Krise
Man macht es sich zu leicht, wenn man den Verantwortlichen für die Theater-Verkleinerung von 1967 kulturelle Kahlschlag-Mentalität vorwirft. Die Stadt unternahm allerdings einen Spagat, der in den seltensten Fällen glückt: ein Theater mit weniger Geld für das Publikum attraktiver zu machen. Es war nicht der gute Wille, der damals fehlte. Es war die Blauäugigkeit der Stadtspitze in Kulturdingen, verbunden mit einer fatalen Kombination aus fehlender Gesprächsbereitschaft und mangelnder Kreativität. Der dringend notwendige öffentliche Theaterdiskurs fand erst statt, nachdem der Reduzierungsbeschluss bereits gefallen war, und lief sich rasch in verbissenen Lagerkämpfen fest. Alternativ-Modelle hat man nie zu Ende gedacht. Und die Struktur des Theaters, die von den Grundsätzen der kommunalen Verwaltung geprägt war, kam überhaupt nicht in die öffentliche Diskussion. Die Krise von 1967/68 zeigt dabei vor allem eins: Dass ein Theater in schwierigen Zeiten nur bestehen kann, wenn alle Beteiligten gemeinsam nach unkonventionellen Lösungen suchen, statt sich in ihren Positionen festzubeißen. m.moeller@volksfreund.de

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