Die Königin des Folks - damals und jetzt

Wiltz/Luxemburg · Joan Baez hat Bob Dylans Drogen im Klo runtergespült, ist für das Abwerben von US-Wehrdienstleistenden ins Gefängnis gewandert und war Mitstreiterin von Martin Luther King. Fast 60 Jahre nach Beginn ihrer Weltkarriere hat die Folk-legende in Luxemburg ihr Publikum von den Stühlen gerissen.

 Joan Baez singt seit 60 Jahren Folksongs für den Weltfrieden – auch auf der Freilichtbühne im luxemburgischen Wiltz. Foto: Christian Dirr

Joan Baez singt seit 60 Jahren Folksongs für den Weltfrieden – auch auf der Freilichtbühne im luxemburgischen Wiltz. Foto: Christian Dirr

Foto: christiane wolff (woc) ("TV-Upload wolff"

Wiltz/Luxemburg. Als ich 13 Jahre alt war, gab es noch ein Paradies für mich. Dessen Pforte lag am anderen Ende des Hausflurs. Und wenn mein großer Bruder nicht da war, durfte ich es betreten.
Das Zweitbeste in seinem Zimmer: ein großes Bett mit flauschigem Matratzenbezug. Das Beste: seine Schallplattensammlung. Darunter das Joan-Baez-Doppelalbum "The first ten years", erschienen 1970, fünf Jahre vor meiner Geburt.
Die englischen Texte verstand ich nur bruchstückhaft. Egal. Die Eindringlichkeit der Musik bedurfte keines intellektuellen Begreifens. Joan Baez' Stimme ging direkt unter die Haut. Die schöne schwarzhaarige Frau auf dem Cover war meine erste große Liebe, mit Nachwehen bis heute.
Jetzt steht sie da auf der Bühne. Ihre Stimme - früher glasklar und schneidend hoch, in den Jahren dazwischen mit typischer Folkfarbe - ist älter geworden. Durchdringend ist sie nicht mehr, berührend und stark immer noch. Weniger Schmerz, mehr Gelassenheit liegt darin.
Baez - begleitet von ihrem Sohn Gabe Harris (Percussions), David Powell (Gitarre, Klavier) und der jungen amerikanischen Sängerin Grace Stumberg - singt fast vergessene Folksongs ("Freight Train"), Lieder, die für sie geschrieben wurden ("God is God" von Steve Earle) und, natürlich, Bob-Dylan-Cover ("It's all over now baby blue", "Don't think twice it's allright"). Das Publikum im ausverkauften Amphitheater in Wiltz - alt genug um zu wissen, dass man von einem Konzert nicht das nach Hause trägt, was man bunt und digital im Handy abgespeichert hat - hört und sieht zu, statt sich mit seinen Smartphones zu beschäftigen.
Ihren einzigen wirklich erfolgreichen selbst geschriebenen Song "Diamonds and Rust" moderiert Baez nicht wie so oft bei ihren Auftritten an mit den Worten "For the most talented and crazy person I've ever met" (Für die talentierteste und verrückteste Person, die ich je getroffen habe). Dass es immer noch um Bob Dylan geht, ist trotzdem klar: Im Ursprungstext heißt es, dass ihr letztes Geschenk an den Geliebten zehn Jahre zurückliege. In Wiltz dichtet Baez die Stelle um zu 50 Jahren. Baez, damals schon ein Star der Folk-szene, nahm den Anfang der 1960er noch unbekannten Dylan mit auf Tour und machte ihn ihrem großen Publikum bekannt.
Das eigentliche Anliegen ihres Lebens und Schaffens - Protest gegen Krieg und Diskriminierung - lässt die 74-Jährige auch diesmal nicht außen vor: Mit dem Anti-Rassismus-Song "Deportee" von Woody Guthrie mahnt sie die reichen Länder an, Flüchtlinge willkommen zu heißen.
Nach eineinhalb Stunden verabschieden sich Baez und ihre Band. Das Publikum reißt es von den Sitzen. Zweimal kommt der Weltstar zurück zur Zugabe. Bei John Lennons "Imagine" gibt's nur sie und ihre Gitarre. So, wie vor 60 Jahren.
"The queen of folk music then an now" hat Bob Dylan sie bei seiner Rede anlässlich einer Preisverleihung im Februar 2015 in Los Angeles genannt. Ja. Sie ist es immer noch. Und sie wird es immer sein.

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