Die Kulturwoche, betrachtet von Rainer Nolden Rührend bemüht und grenzenlos albern

Wahrscheinlich muss wieder die Kultur ran. ­Great-Brexits derzeit populärster Komiker, Boris „Politclown“ Johnson, gesegnet mit größtmöglicher Inkompetenz, wie aus zahlreichen Quellen durchaus glaubhaft berichtet wird, kriegt es ja auch nicht hin, sein gebeuteltes Land einigermaßen blessurenfrei in die Isolation zu führen, weil er mehr Zeit damit verbringt, sich laustark und publikumswirksam mit seinem Verhältnis zu zoffen.

 Der britische Bestseller-Autor Ken Follett.

Der britische Bestseller-Autor Ken Follett.

Foto: dpa/Arne Dedert

 Also versuchen auf geradezu rührende Weise mehrere britische Autoren zu retten, was nicht mehr zu retten ist. Schriftsteller(innen) wie Ken Follett („Die Säulen der Erde“), Jojo Moyes („Ein ganzes halbes Jahr“), Kate Mosse (dank des „e“ nicht zu verwechseln mit Kate Moss) und Lee Child, die Letztgenannten vor allem bekannt für ihre Krimis, sorgen sich angesichts des Brexit um ihre Leserschaft auf dem europäischen Festland. Deshalb wollen sie nun auf eine „Freundschaftstour“ nach Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien gehen. In Berlin werden die Schriftsteller am 23. November Station machen; danach geht es nach Paris, Madrid und Mailand. Dort wollen sie über ihre Werke sprechen und Fragen aus dem Publikum beantworten. „Wir haben Millionen Leser in Kontinentaleuropa. Die meisten lesen uns in ihrer eigenen Sprache, und wir wollen ihnen mitteilen, wie sehr wir sie schätzen, sagte Ken Follett. Jojo Moyes sekundiert: „Diejenigen von uns, die sich schon immer als Europäer verstanden haben, sind mit Schrecken Zeugen der politischen Intrigen geworden, die uns auseinanderbringen sollen.“ Ob’s was bringt? Optimisten können sich immerhin damit trösten, dass Worte nach wie vor zu den schärfsten Waffen gehören.

Dümmer geht immer: Das gilt vor allem für das Niveau von Fernsehunterhaltungssendungen. Einen neuen Tiefstand peilt offenbar gerade der Privatsender ProSieben an – mit einer Art Neuauflage von „Wer bin ich?“. In „The Masked Singer“ treten zehn Prominente in überdimensionalen Kostümen gegeneinander an, um ihre Identität so lange wie möglich geheim zu halten. Moderiert wird das Ganze von Matthias Opdenhövel, Premiere war gestern Abend bei ProSieben. Die Idee stammt aus Südkorea, lief „mit gigantischem Erfolg“ in den USA und bescherte dem Sender Fox dort den erfolgreichsten Start einer Unterhaltungssendung seit 2011. Nur zur Erinnerung: Fox ist der Lieblingssender des derzeitigen US-„Präsidenten“, weil der ganz auf seiner Linie ist, also unkritische PR fürs Weiße Haus ausstrahlt. (Andererseits: Es soll auch in diesem Haus schon einige Redakteure geben, denen die speichelleckende Hofberichterstattung zu weit geht und die entsprechend aufmucken). Zurück zum maskierten Sänger: Das sei, so ProSieben, „eine schrille Show mit zehn singenden Stars“. Die Teilnehmer stammen aus allen möglichen Lebensbereichen – sind also nicht unbedingt als Sänger berühmt. Aber sie singen und tanzen, und Experten, Studiogäste und Zuschauer rätseln dann: Wer versteckt sich unter der Verkleidung? Sechs Shows sind geplant, jede Woche fliegt ein Promi raus und wird vor laufender Kamera enttarnt. „Ich konnte mir erst darunter überhaupt nichts vorstellen. Dann wurden mir die amerikanischen Folgen geschickt, und ich bin süchtig danach geworden“, sagt Collien Ulmen-Fernandes, die mit Moderatorin Ruth Moschner und Sänger Max Giesinger zum Experten-Rateteam gehört. „Ich find das Konzept wahnsinnig spannend, weil man die Künstler abseits ihres Images kennenlernt und abseits der Schublade denken kann, weil man eben nicht weiß, mit wem man es zu tun hat.“ Damit das so bleibt, gibt es einige Sicherheitsvorkehrungen: Auch Backstage müssen die Teilnehmer Masken tragen. „Wenn sie uns begegnen, dürfen sie nicht mit uns sprechen.“ Ui, das wird bestimmt wahnsinnig lustig. Dagegen kann jeder Kindergeburtstag nur abschmieren. no/dpa

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