Die Lyoner-Operette

Mit Lachsalven und Ovationen quittierte das Publikum in der Zeltoper Merzig die Premiere der "Fledermaus" von Johann Strauß. Regisseurin Anette Leistenschneider setzt ganz auf die komische Seite der Operette. Gefeiert wurde auch das Philharmonische Orchester der Stadt Trier.

 Ober-Intrigant Dr. Falke, die schöne Ungarin, der falsche Prinz und ein Stubenmädel (von links): Reichlich Personal für Irrungen und Wirrungen in der Merziger Fledermaus. Foto: Rolf Ruppenthal

Ober-Intrigant Dr. Falke, die schöne Ungarin, der falsche Prinz und ein Stubenmädel (von links): Reichlich Personal für Irrungen und Wirrungen in der Merziger Fledermaus. Foto: Rolf Ruppenthal

Trier. Wien liegt im Saarland. Zumindest an diesem Abend. Das Palais der Eisensteins könnte irgendwo an der Saar stehen, Advokat Dr. Blind ist ein täppischer "Pälzer", Gefängniswärter Frosch kommt daher wie der Onkel von Heinz Becker, sein Direktor Frank bringt zum Fest beim Prinzen Orlofsky den Kartoffelsalat (wohl zum Schwenkbraten?) in der Tupper-Schüssel mit.Da haben sich die Merziger zum 50. Geburtstag des Saarlands, der heuer gefeiert wird, etwas einfallen lassen. Die ganze "Fledermaus" spielt irgendwann zur Stunde Null in den späten 50er-Jahren, als das Saargebiet wieder im D-Mark-Land landete. Was man heute offenbar mit gemischten Gefühlen sieht - jedenfalls applaudiert Ministerpräsident Peter Müller lange und demonstrativ, als Frechdachs Frosch zu bedenken gibt, die Gründung eines eigenen Staates wäre dermaleinst auch keine üble Alternative gewesen. Hollywood-Schaukel und Vespa, Italien-Sehnsucht und Babydoll: Regisseurin Anette Leistenschneider zitiert lustvoll den Zeitgeist der Fünfziger herbei. Und sie plündert hemmungslos den Assoziations-Fundus aus Funk, Film, Fernsehen und Theater. Inspektor Clouseau und die bezaubernde Jeannie, Otello und Turandot, Shakespeares Sommernachtstraum und Piroschkas Pußta-Bahnhof: Da geht es munter kreuz und quer, nicht immer ganz präzise, aber einfach grottenkomisch zur Sache. Und irgendwann kommt man nicht mehr nach mit dem launigen Anspielungen-Raten.Klar: Die abgründige Seite der Strauß'schen Komödie, der Tanz am Abgrund des Ruins, der auch zur "Fledermaus" gehört, findet im Zelt nicht statt. Aber damit lässt sich leben, wenn die Produktion so tempogeladen und stringent ist wie in Merzig. Da hat man man vieles Umständliche gekürzt und gerafft, erzählt die Geschichte vom Intrigenspiel aus Rache wie einen Boulevard-Kracher - Kalauer inklusive. Der Klassiker als Boulevard-Kracher

Aber Leistenschneider gelingen ganz nebenher auch überraschend plausible Lösungen, zum Beispiel beim Prinzen Orlofsky, der unmotiviertesten Hosenrolle in der neueren Musik-Geschichte.Dreh- und Angelpunkt ist der mit Tobias Scharfenberger luxuriös besetzte "Dr. Falke", ein begnadeter Intrigant und Fallensteller, der alle, aber auch wirklich alle Fäden in der Hand hält. Orlofsky (stimmschön, aber etwas atemlos: Lucie Ceralova) ist seine verkleidete Freundin, Frosch (saarländisches Urvieh: Hans-Josef Eich) ebenso gekauft wie der Winkeladvokat Dr. Blind (köstlich: Berthold Hirschfeld). Lauter Komparsen, die der Strippenzieher für sich tanzen lässt.Dieter Goffing als Gefängnisdirektor und Manolito Mario Franz als Italo-Barde Alfredo (der in Wirklichkeit der "Meier Alfred" von nebenan ist) liefern stimmige, spaßige Charakter-Porträts, ebenso wie der kantige, unkonventionelle Eisenstein von Björn Arvidsson. Den meisten Beifall heimst Debra Fernandes als quirliges Stubenmädel Adele ein - zu Recht, was die Spielfreude angeht, weniger, was die zu Schärfen neigende Stimme betrifft. Das mag auch mit der Verstärkung zusammenhängen, aber Frauke Schäfer als (beinahe) betrogene Ehefrau Rosalinde zeigt, dass man selbst mit Mikrofon vorzüglich klingen und beispielhaft intonieren kann. Rundum eine Freude sind die Trierer Philharmoniker - auch wenn Frosch mumaßt, sie seien zur "Resozialisierung" in die Saar-Provinz abkommandiert. Dirigent Joachim Arnold treibt zu mächtigem Tempo an, ohne dass es in "Gehuddel" endet. Ein Glanzstück: Das mitreißende Intro zum 2. Akt, bei dem man die üblichen routinierten Ballett-Einsprengsel in keiner Weise vermisst. Das ist das Schöne in Merzig: Es gibt keine Zwänge. Ein offenes Zehn-Meter-Rondell als Bühne (Ausstattung: Sabine Mann), hübsche Fünfziger-Jahre-Kostüme (Markus Maas), einige wenige Requisiten, die auch schon mal mit kräftigen Quietschen vom Zeltdach heruntergekurbelt werden: genug für einen höchst unterhaltsamen Theaterabend. Weitere Termine: 22., 23., 27., 29., 30. Juni; 1., 4., 6., 7., 8. Juli. Karten: 0681/992680 oder www.musik-theater.de

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