Kultur Die Metamorphose der „Unorte“

Trier · Europäische Kunstakademie Trier zeigt Arbeiten von Harald Priem

 Harald Priem vor seiner Arbeit B4.115,

Harald Priem vor seiner Arbeit B4.115,

Foto: TV/Eva-Maria Reuther

Sich erinnern heißt kürzere oder längere Wegstrecken in die Vergangenheit zurücklegen, um ihre Spuren zu suchen. Harald Priem ist so einer, der sich dorthin auf den Weg gemacht hat, und das nicht nur im geistigen Raum sondern auch in den Erinnerungsräumen der aktuellen Lebenswirklichkeit.

Unterwegs auf der Suche nach den Zeugnissen einer „verlorenen Zeit“ wird er fündig in aufgelassenen Werkstätten und Industrieräumen, auf alten Baustellen oder in ehemaligen Kindergärten. „Unorte“ nennt er seine Erinnerungsräume, die einst belebt, als Relikte aus der Zeit gefallen sind. Was hier ehemals an menschlichem Leben und seinen Aktivitäten stattfand und nur noch in zurückgelassenen Gegenständen oder in den Spuren von  Nutzung und Abnutzung erfahrbar ist, hält Priem zunächst als Zeitzeugnisse in Fotografien und Abdrücken fest. So wie den abgetretenen Fußboden einer ehemaligen Druckerwerkstatt oder die Inventarteile eines verlassenen Kindergartens. Mit seinen derart gesammelten Dokumentationen tut der Dozent der Europäischen Kunstakademie Trier das, was zu tun ist, um den rückwärts gewandten ,aus der Zeit gefallenen Orten eine neue zeitlose Gegenwart zurück zu geben. Er unterzieht sie einer Metamorphose und transformiert die Zeugnisse einer längst vergangenen Alltagswirklichkeit in Kunstwerke. Eine Reihe der so entstandenen Arbeiten des in Mannheim lebenden Künstlers sind derzeit in der Kunsthalle der Akademie zu sehen. Vorwiegend sind es Tuschzeichnungen und Mischtechniken aus Tusche und Acryl, die in der lichten Halle präsentiert werden. Bisweilen kehrt der Künstler die Blickrichtung augenzwinkernd um. So wie in seinem auf dem Kopf stehenden zeitgenössischen Twitter Vogel, der ironisch auf das gleichnamige soziale Netzwerk und seine Verwerfungen verweist. Vergangenheit ist inzwischen hingegen die Bestimmung der Axt, die ihren Dienst bei der „Submarine“ quittiert hat. In ihrer neuen Existenz als Kunstobjekt wirkt das gefährliche Werkzeug geradezu unschuldig. Am reizvollsten bleiben Priems Arbeiten auf Papier mit ihrer subtilen Ästhetik. Ihre zum abstrakten Kunstwerk mutierten „Unorte“, deren Schwarz einzig durch Weiß belebt wird, wirken zuweilen wie in einen Dämmerzustand entrückt. Gleichwohl sind sie vielfältig belebt. Im Nuancenreichtum der Grautöne, im Rhythmus der Strichführung  und der dynamischen Linien wird ein lebendiges Innenleben sichtbar.

Zu den eindrücklichsten Arbeiten gehört der vierteilige Bodenabdruck B4.115 einer einstigen Werkstatt, der wie eine Milchstraße anmutet, in der aus fernen Welten weiße Lichter leuchten, sowie die lyrischen rhythmischen „Briefe an Jim“, die einer Partitur gleichen. Harald Priems Arbeiten bestätigen einmal mehr Marcel Prousts These. Nach Ansicht des französischen Schriftstellers und Großmeisters der Erinnerungskunst macht man die besten Entdeckungsreisen, wenn man die Welt mit neuen Augen betrachtet.

Noch bis 13. Mai, Dienstag bis Sonntag von 11 bis 17 Uhr, www.eka-trier.de

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