Die mit dem Bären tanzt: "Gloria"

Ganz langsam, fast schüchtern nähert sich Benjamín Echazarretas Kamera zu Beginn von "Gloria" seiner Protagonistin. Und ebenso zurückhaltend steht die gleichnamige 58-Jährige (Paulina García) mit ihrer etwas überdimensionierten Nana-Mouskouri-Brille an der Theke eines Tanzlokals in Santiago de Chile, bevor es aus ihr herausbricht.

Hemmungslos stürzt sich Gloria ins Getümmel einer Singleparty für Damen und Herren des etwas fortgeschrittenen Alters. Gloria ist geschieden, die Kinder sind lange aus dem Haus, mittlerweile selbst Eltern oder auf dem Weg, es zu werden. Zum alten Eisen will sich Gloria aber noch lange nicht zählen. Als sie den ebenfalls geschiedenen Rodolfo (Sergio Hernández) kennenlernt, glaubt sie an eine dauerhafte Beziehung. Doch Rodolfos Töchter vereinnahmen ihren Vater in einer Intensität, die dem noch zarten Pflänzchen zwischen den frisch Verliebten das Wasser abgräbt. Auf fruchtbaren Boden fällt hingegen die Konzentration von Regisseur Sebastián Lelios auf seine Hauptdarstellerin. Filme wie "Gloria", die sich vollkommen auf einen einzigen Charakter konzentrieren, gibt es viele. Gelungen sind nur wenige. In Lelios Tragikomödie gibt es keine Szene ohne Paulina García - und die Chilenin dankt es ihrem Regisseur. García spielt Gloria mit einer zurückhaltenden Natürlichkeit - facettenreich und überzeugend, wie man es lange nicht mehr auf der Leinwand gesehen hat. Glorias Sehnsucht nach Liebe, Sinn im Leben und Bindung zu ihren beiden Kindern setzt Lelio mit viel Witz, Ironie, aber stets mit Würde und Verständnis für seine Protagonistin in Szene. García gibt alles: Gloria tanzt, raucht, trinkt, vögelt, kifft, verführt, behütet, leidet und lebt. Am Ende nimmt sie Rache - anrührend, urkomisch und mit Anstand. Bei der Berlinale hat sie dafür gegen äußerst starke Konkurrentinnen völlig verdient den Silbernen Bären als beste Schauspielerin erhalten. Falk Straub Der Film läuft im Broadway in Trier. Weitere TV-Kolumnen unter www.volksfreund.de/kolumne

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