Die Rebellen scheitern an sich selbst

Sechs Menschen scheitern - im Beruf, in der Liebe, im Aufbegehren gegen das System. Und mit ihnen drei Generationen, die sich im Volksstück "Die Fassbinder" der gegenseitigen Demütigung hingeben.

 Von den Mitkämpfern niedergestreckt: Helge Gutbrod (rechts) und Klaus-Michael Nix. Foto: Theater

Von den Mitkämpfern niedergestreckt: Helge Gutbrod (rechts) und Klaus-Michael Nix. Foto: Theater

Trier. Es herrscht Krieg, ausgefochten zwischen den Fronten von Verdrängung und Konfrontation. Die Fassbinder tragen ihn aus. 60 Zuschauer erleben die Premiere am Theater Trier, die gleichzeitig die Uraufführung des Volksstücks zum 65. Geburtstag des Regisseurs Rainer Werner Fassbinder ist. Geschrieben hat es der luxemburgische Dramaturg Olivier Garofalo (25). Das Besondere: Die Handlung ist zugeschrieben auf einen Spielort; die Figuren treffen sich in einem stillgelegten Supermarkt. Das Ärgerliche: Ungeziefer machte das heute als Skaterhalle in Trier-West genutzte Gebäude für die Darsteller unbespielbar.

So müssen sich die Zuschauer in der Enge des Studios die Weite einer Halle vorstellen, die eben vorzüglich für das stünde, was die Charaktere empfinden: Erfolglosigkeit und Leere. Der Supermarkt ist umgezogen, das Gebäude überflüssig - so fühlt sich auch das Rentnerpaar, das über seine harte Arbeit das Empfinden für Glück verloren hat. Angelika Schmid verkörpert es in der Inszenierung von Judith Kriebel hervorragend, indem sie als Gertrude mit leerem Blick wartet, stöhnt und sich bei ihrem Bemühen um Nähe immer wieder als "Stück altes, verwestes Fleisch" demütigen lässt. Bei ihr beginnt die Rebellion im Kleinen, mit der Erinnerung an das Widersetzen gegen Anweisungen des Chefs. Ihr Mann "Susi" (Hans-Peter Leu), ein Kind der Kriegsgeneration, hätte eben das Kapital, um in die Jugend zu investieren, hält es aber zurück.

Klaus-Michael Nix steht als "Putzer" für die mittlere Generation. Die, deren Arbeitseifer mit der Entlassung und der Wiedereinstellung in eine Zeitarbeitsfirma belohnt wurde. Zwangsarbeit zu menschenunwürdigem Gehalt.

Die Riege der jüngeren Akteure ist gespalten. Antje-Kristina Härle mimt die dem Arbeitsmarkt angepasste Lehrerin, die vom Groll über ihren Beruf eingenommen ist und im Übermaß von Liebe und Aggression Zuflucht sucht. Vanessa Daun ist die Arbeitslose, deren Leidenschaft nur die Rebellion weckt. Ausgezeichnet verkörpert sie den Wechsel zwischen Lethargie und Aufbegehren: wenn sie mit dem "Putzer" und einem ebenfalls aufrührerischem jungen Mann namens Heidi (Helge Gutbrod) nach Spraydosen greift und ins Mikrofon schreiend den Staat verteufelt, der ihr sage, was sie zu tun habe.

Gemeinsam wollen sie ankämpfen gegen die Wertlosigkeit ihrer Arbeit. Doch auf dem Weg dorthin demütigen sie sich gegenseitig, verwehren sich körperliche Nähe, bespucken sich, töten sich. Ihre Kommunikation läuft ins Leere. Deutliche Worte finden die Stimmen erst, als sie nicht mehr aus ihren Kehlen, sondern aus dem Lautsprecher dringen, und Nix ihnen den Spiegel vorhält.

Nicht Fassbinder selbst, wohl aber seine Kernthemen sind omnipräsent: Ausgrenzung, auch durch Homosexualität, Anti-Konformismus, das Verdrängen des Dritten Reiches. Zwar wird die Kritik an Gewinnoptimierung und Egoismus klar formuliert, doch für den Zuschauer bleiben viele Fragen offen. Vor allem die nach dem Ziel der Zusammenkunft der Akteure. Dass der Spielort verlegt wurde, bedauern die Besucher zwar, halten aber die Inszenierung im Studio für eine gute Lösung.

Am Ende leuchtet über der Bühne nur das Wort Glück auf. Jetzt sind es nur noch fünf leere Buchstaben. Nicht mehr.

Das Stück wird in der nächsten Spielzeit wieder ins Programm aufgenommen.

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