Die Tränendrüsen bleiben verschont

Trier · Hochtalentierte junge Solisten, eine Regie mit Köpfchen, konzentrierte Bilder, aber auch noch Spielraum nach oben beim Klangbild: Mit "Evita" gelang dem Trierer Theater ein guter Saisonstart, der freilich den fulminanten Eindruck der "West Side Story" im letzten Jahr nicht erreichen konnte.

 Für Mezzosopranistin Kristina Stanek hat ihr erstes festes Engagement am Theater Trier. Sie verkörpert die Titelfigur Evita. TV-Foto: Friedemann Vetter

Für Mezzosopranistin Kristina Stanek hat ihr erstes festes Engagement am Theater Trier. Sie verkörpert die Titelfigur Evita. TV-Foto: Friedemann Vetter

Trier. Bis heute hält sich das Gerücht, die "Evita"-Erfinder Andrew Lloyd Webber und Tim Rice seien ziemlich erschrocken gewesen, als sie entdeckten, dass bei den ersten Aufführungen ihres Musicals die Titelfigur viel besser wegkam, als sie es sich beim Schreiben gedacht hatten.
Mit Sven Grützmachers Trierer Produktion wären sie wohl zufrieden gewesen. Die junge Kristina Stanek zeichnet eine eher kühle Figur, eine Aufsteigerin, die dem Volk geschickt nach dem Mund redet, die das politische Geschäft besser versteht als ihr zaudernder Präsidenten-Ehemann.
Ihr Schlager "Don\'t cry for me, Argentina" kommt als sorgfältig kalkulierte Fensterrede daher, so glaubwürdig wie die einstudierten Ansprachen amerikanischen Präsidentschaftskandidatengattinen. Erst am Ende, den frühen Krebstod vor Augen, lässt Staneks Evita Gefühle durchscheinen, offenbart das tiefe Bedürfnis nach gesellschaftlicher Anerkennung. Die erst 26-jährige Mezzosopranistin, gerade zu ihrem ersten festen Engagement nach Trier gekommen, zeigt ein bemerkenswertes darstellerisches Talent, vor allem eine exzellente Körpersprache, die überzeugend den Bogen schlägt vom jungen Mädchen zur todkranken Frau. Eine warm timbrierte, kraftvolle Stimme klassischen Opernzuschnitts, für Musical etwas zu schwer, was Probleme bei der Wortverständlichkeit und einen leicht weihevollen Ausdruck mit sich bringt.
Aber das sind kleine Einwände angesichts dieses starken Debüts im fremden Fach. Auf Staneks Trierer Opernpartien darf man sich jetzt schon freuen.
Die Rolle des Sympathieträgers hat an diesem Abend aber fraglos Matthias Stockingers "Che". Auch erst 29, ist er bereits ein Musical-Darsteller von Rang, gewandt, elegant, mit präzisem Timing, feiner Diktion und souveräner Leichtigkeit ausgestattet. Ein vorzüglicher Kommentator der etwas holzschnittartigen Handlungsabläufe, in die Lloyd Webber und Rice ihr Musical gekleidet haben.
Dem Mann aus dem Volk, der die Situation mal distanziert, mal ironisch analysiert, der auch schon mal verprügelt wird: Ihm gehört die Sympathie der Regie.
Sven Grützmacher hat den Kitsch weitgehend eliminiert, setzt auf konzentrierte Bilder. Dirk Immich hat ihm dafür eine ziegelrote Fensterfassade aufgestellt, die sich mit minimalem Aufwand vom Armen- zum Regierungsviertel verwandeln lässt. Ein Bild, das zum Glück nichts von Wohligkeit ausstrahlt - was für die gesamte Inszenierung gilt, auch wenn sie anfangs sehr tänzerisch daherkommt.
Ab und zu gelingen geniale Szenen: Wenn Peron und sein Generalstab ihre Machtkämpfe als Reise nach Jerusalem auf rollenden Sesseln austragen, oder wenn die militärischen und zivilen Männerbünde - wie stets bei Grützmacher - als ironische Verzerrungen erscheinen. Aber der Versuch, "Evita" auf das Wesentliche zu konzentrieren, zeigt eben auch, dass dieses Musical - anders als etwa die West Side Story - weder musikalisch noch inhaltlich Wesentliches zu bieten hat.
Konfuse erste Viertelstunde


Dass es trotzdem Spaß macht, hat mit der guten Besetzung zu tun: Alexander Trauths wuchtiger Peron, Minja Anusic, die als Perons Geliebte zeigt, dass man auch mit einer kleinen Rolle groß auf sich aufmerksam machen kann, und Svetislav Stojanovic, von dessen Fähigkeiten als Tango-Sänger man gerne mehr hören würde.
Chor, Band und Orchester brauchen eine ziemlich konfuse erste Viertelstunde, bis sie sich aufeinander eingegroovt haben. Danach hat Dirigent Christoph Jung die Sache im Griff. Von der Technik kann man das nur bedingt sagen: Da hakt es schon mal bei den Mikros, da lässt die Lautstärkenabstimmung zwischen Band und Solisten zu wünschen übrig. Kleinigkeiten, jedenfalls gemessen am üppigen Beifall, den das Premierenpublikum im nicht ganz ausverkauften Haus am Ende allen Beteiligten spendet.

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