Die Trierer rufen zur Revolution auf

Trier · Trier ist Hochburg einer Protestbewegung. Die Bürger wehren sich gegen den Verlust ihrer Lebensgrundlagen durch eine alles beherrschende Wirtschaft. Dieses Szenario hat "Stadt in Aufruhr" des Theaters spannend durchgespielt, inszeniert von der Gruppe International (ehemals Karussell/Tafeltheater) mit Trie rer Bürgern.

Trier. Das Gelände hinter der Trie rer Tufa, auf dem Kinder und Jugendliche ihre eigene Stadt gebaut haben, ist passender Ausgangspunkt für den Rundgang "Stadt in Aufruhr". Denn auch hier geht es um eine Utopie, eine fiktive Reise in die Zukunft des Jahres 2025. Sie knüpft an die Vergangenheit an. Karl Marx tritt auf und erklärt, das Stück "Die Krise als Chance" habe es in Form der französischen Revolution schon einmal gegeben, die Trierer hätten ihren Teil an dieser Erfolgsgeschichte 1848 erstritten. Und dann zitiert er Hegel: "Weltgeschichtliche Ereignisse von Bedeutung gibt es immer zweimal, beim ersten Mal als Tragödie, beim zweiten Mal als Farce."
Wasserklau beim Discounter


In diesen Zusammenhang kommt er auf das Trierer Zukunftskonzept 2025 und seine "rosarote Sicht" zu sprechen, die Einwohner genössen künftig eine ausgewogene Erwerbs- und Lebensstruktur. Wirklich? Marx lädt ein, ihm zu folgen, und gleich findet sich die Menge, in der nicht auszumachen ist, wer zu den 70 Besuchern des Theaterspektakels und wer zu den insgesamt 120 Mitwirkenden gehört, in einer ganz anderen Realität wieder.
In einem Hinterhof erzählen Frauen, dass sie bei Aldi das gerade wieder verteuerte Wasser gestohlen hätten - aus Not. Denn ihre Arbeitsplätze beim Theater gebe es wie das Theater selbst nicht mehr, die Renten- und soziale Sicherungssysteme seien zusammengebrochen, die Infrastruktur marode. Mit jedem Schritt, den sich der Zug durch Neu- und Nagelstraße bis zum Kornmarkt bewegt, fügen sich neue Puzzleteile zu diesem erschreckenden Zukunftsbild. Überall liegen Obdachlose unter Pappkartons. Plakate verraten, dass anstelle ihrer zwangsgeräumten Wohnungen, ja sogar anstelle der Porta Nigra neue Konsumtempel entstehen sollen. Am Straßenrand verkündet eine Optikerfamilie aus Luxemburg, dass sie Arbeit sucht. Neben ihr verkauft eine Frau Toilettenpapier, das selbst in Schulen nicht mehr bereitgehalten wird.

Publikum als Teil der Inszenierung


Aus Fenstern und von Balkons erhebt sich Protestgeschrei, auf der Straße formieren sich Demonstrationsgruppen. Martialische Ordnungskräfte prügeln gnadenlos auf sie ein. Auch dem Publikum werden Transparente in die Hand gedrückt. Es ist plötzlich Teil des Aufruhrs, dem der Auftritt von Symbolgestalten des arabischen Frühlings, der griechischen und spanischen Bürgerproteste und eines in Trier 1848 von der Polizei getöteten Revolutionärs Sinn verspricht.
Passanten wirken verunsichert, fragen, was da los sei. Antwort gibt eine über Bildschirme verbreitete Nachrichtensendung, die vom bankrotten Europa mit 30 Prozent Jugendarbeitslosigkeit und Aufständen auch in den ehemals wohlhabenden Ländern berichtet. Obwohl klar ist, dass das alles nur Theater und Politsatire ist, wirkt dieses Szenario genauso wahrscheinlich, wie das Finale der Farce im Rathaus-Sitzungssaal. Eine Projektion in die Zeit nach den Aufständen 2025 zeigt die Ablösung der sozialen Marktwirtschaft durch eine "marktkonforme Demokratie" im Format einer Fernsehunterhaltungsshow. Schön bissig wird entlarvt, dass vermeintliche "Krisenmanagement-Experten" nur Marionetten gewaltiger Wirtschaftsinteressen sind. Doch auch die haben ihre Rechnung ohne das revolutionäre Potenzial Triers gemacht ...
Wer die Premiere verpasst hat, kann sich am 22., 25. und 26. Juni, auf den aufrührerischen Stadtrundgang begeben. Treffpunkt ist jeweils um 20 Uhr der Innenhof der Tuchfabrik Trier.

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