Die Vision einer unendlichen Musik

MACHERN. Der Schluss war grandios. Baiba Skride brannte bei Pablo des Sarasates "Carmen-Phantasie" ein Feuerwerk geigerischer Brillanz ab. Schade, dass nicht alles im Konzert der Mosel Festwochen so überzeugend ablief.

Franz Schuberts C-Dur-Phantasie: Die düster-fülligen Akkordfiguren des Klaviers klingen so dicht, das die Geigerin mit ihrem echten Pianissimo-Einsatz fast unhörbar bleibt. Baiba Skrides Violine wirkt gegenüber dem Klavier allzu verhalten. Schuberts Phantasie mutierte zu einem Klavierstück mit hinzugefügter Geige. Drohte da ein Konzert zu misslingen? Es ist doch keine Frage: Die 24-jährige Baiba Skride ist eine großartige, herrlich sensibel musizierende Geigerin und Jérôme Ducros ein vorzüglicher Begleiter. So hätten sich die Musiker gegenseitig Impulse geben können. Dass es bei dieser Veranstaltung der Mosel Festwochen im Kloster Machern zeitweise anders kam, hat zu tun mit der mangelnden Übereinstimmung - zwischen den Interpreten, denen die gemeinsame Probenzeit fehlte, aber auch zwischen Interpreten und Kompositionen. Schuberts C-Dur Phantasie, die das Lied "Sei mir gegrüßt" ins Zentrum stellt, beschwört neben der virtuosen Brillanz auch eine Stimmung generöser Entsagung. Die kehrt bei den Interpreten ebenso wenig wieder wie die geisterhafte Romantik des Beginns oder die forcierte Klassizität des zweiten und des letzten Abschnitts. Jérôme Ducros spielt den Klavierpart, als handele es sich um Debussy: statisch und klangbezogen. Zum Überfluss kultiviert Baiba Skride einen an sich wunderschönen, hellen, silbrigen, leichten Ton, bleibt dadurch merkwürdig distanziert, übernimmt selten nur die Führung und hält sich von ausgespielten Kantilenen fern. Das Ergebnis: ein Schubert ohne Balance und ohne Charakter. Das mag Unvertrautheit sein mit der deutsch-romantischen Tradition. Aber auch bei Ravels so ungeheuer diffiziler G-Dur-Sonate taten sich Defizite auf. Die subtilen Korrespondenzen zwischen Violine und Klavier blieben schematisch, der "Blues"-Mittelsatz lief plump und ohne Hintersinn ab, und die weit ausholende, erzählende Struktur im ersten Satz verlor sich in Kleinklein. Das Niveau der Interpreten freilich offenbarte sich im Schluss des Kopfsatzes, der sich in Klang auflöste, ohne an Deutlichkeit zu verlieren, und dann im abschließenden "Perpetuum mobile". Da entfaltet Baiba Skride mit Jérôme Ducros eine Brillanz, die nicht anstrengt. Artistik ohne Mühsal. Vision einer Klangkette, die sich ins Unendliche verlängert. Vielleicht hatten sich Baiba Skride und Jérôme Ducros im ersten Teil erst auf den vollbesetzten Saal eingespielt. Prokofjews Violinsonate Nr. 1 jedenfalls klang anders. Der Pianist vermied alles Laute, Auftrumpfende. Und Baiba Skride erweiterte den Klangradius ihres Musizierens, sang die Kantilenen dicht und nachdrücklich aus, kultivierte neben dem feinen, leichten Ton auch die dunkleren, kräftigeren Farben. Und gab den Doppelgriffen nicht nur Klang, sondern auch Linie, ein herrlich präsentes, polyphones Musizieren auf der Geige. Die Zweiunddreißigstel über den verhaltenen Klavier-Akorden gegen Ende des ersten und des letzten Satzes - welch eine stille Meisterschaft jenseits aller demonstrativen Virtuosität! Und dann der Schluss, gefasst, nachdenklich, leise trauernd. So tasteten sich beide Interpreten immer näher heran an die Musik. Bei Pablo de Sarasates "Carmen-Phantasie" mit ihrer vergleichsweise einfachen Faktur und ihren Wiedererkennungs-Effekten waren sie da. Zur aufmerksamen Klavier-Begleitung ein geigerisches Feuerwerk. Figuren, Sprünge, perfekte Doppelgriff-Passagen, trocken-klangvolle Pizzikati, Flageolett-Höhen, die klingen wie zartes Glas. Geigen-Technik und Geigen-Ästhetik sind für Baiba Skride kein Problem. Die Gipfel der Interpretationskunst wird sie noch bezwingen. - Viele glückliche Zuhörer im voll besetzten Festsaal.

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