Die Welt retten oder lieber daheim verstecken?

Trier · Es ist eine Menge Text, den das Publikum im vollbesetzten Trierer Theater bei der Premiere von "Marx 1" hört. Die rund 50 Darsteller, Laien und Profis sprechen oder singen, mal einzeln, mal in der Gruppe über den Kapitalismus und die aktuellen Krisen der Welt. Und sie diskutieren darüber, was dagegen zu tun ist - oder aber auch nicht.

 Bürger und Schauspieler verbünden sich zum „Bürgertheater“, das Kapitalismusu nd Klassengesellschaft anklagt. Foto: Vincenzo Laera

Bürger und Schauspieler verbünden sich zum „Bürgertheater“, das Kapitalismusu nd Klassengesellschaft anklagt. Foto: Vincenzo Laera

Trier. Das Bühnenbild ist sehr schlicht. Alles ist in Schwarz gehalten, ein ebenfalls schwarzes Podest mit drei Stufen ist an der vorderen Kante. Und auch die Schauspieler setzen auf Schwarz- und Grautöne. Allerdings mit kleinen roten Farbtupfern. Hier ein paar rote Socken, dort eine rote Fliege, rote Schuhe oder ein rotes Einstecktuch.
Anders als beim klassischen Theaterstück hebt sich nicht der Vorhang zur ersten Szene. Die Schauspieler sitzen schon über die ganze Bühne verteilt und legen immer zu zweit oder zu dritt eine Art Mosaik, das später zu einem großen Bild zusammengefügt wird. Auch dies in den Farben Schwarz, Weiß und Rot. Doch das passiert nur am Rande: Die eigentliche Handlung geschieht meist auf dem Podest oder am vorderen Bühnenrand.
Kritik am Publikum


Dort kommt ein großer Teil der Darsteller zusammen zu einem Sprechchor. Sie gestikulieren synchron und klagen den Kapitalismus und die Klassengesellschaft an. Die einen arbeiten hart für ihr Geld, die anderen lassen ihr Geld für sich arbeiten. Man muss etwas tun, protestieren, damit die Welt besser und gerechter wird.
Doch es ist schwer aufzubegehren. "Ich sitze lieber auf dem Sofa und verstecke mich", ist immer wieder zu hören. Und auch das Publikum, das die ganze Zeit über direkt angesprochen wird und nicht etwa dem Geschehen auf der Bühne nur von außen zuschaut, muss Kritik einstecken. Denn die da sitzen, verstecken sich eben auch vor den großen Krisen der Welt.
Dieser Konflikt zwischen den Idealen und den eigenen Bequemlichkeiten durchzieht das Stück wie ein roter Faden. Und irgendwo ist ja jeder Ausgebeutete in der globalen Welt auch wieder jemand, der durch seinen Konsum andere ausbeutet.
Die Unterschiede zwischen Marx' Theorien in seiner Zeit im 19. Jahrhundert zu der heutigen digital geprägten Welt werden thematisiert. Es wird deutlich, dass die Aktualität durch die vielen brodelnden Krisenherde in aller Welt gegeben ist.
Folgen kann man dem Stück auch, wenn man von Marx' Theorien nichts weiß. Schaden kann es aber nicht, wenn man sich schon mit den Gedanken beschäftigt hat, wie beispielsweise die Versklavung des Einzelnen durch die kapitalistischen Produktionsbedingungen funktioniert und was man unter kollaborativen Gemeingütern versteht.
An dieser Stelle setzen die Forderungen der Akteure auf der Bühne an. Vor allem in der Schlussszene, als die ganzen Mosaike, die am Rande der Handlung entstanden sind, zu einem großen Bild zusammengefügt werden, formulieren die Darsteller, wie sie sich eine bessere Welt vorstellen.
"Bedingungsloses Grundeinkommen für alle auf der ganzen Welt" ist dabei wohl die wichtigste Idee. Dazu kommen noch Punkte wie die Enteignung von Steuerflüchtlingen, Aufwertung von Pflege und einiges mehr.
Das Stück entlässt das Publikum nachdenklich. Obwohl es auch immer wieder etwas zu lachen gibt, ist der Hintergrund ernst. "Kann eine gerechte Welt funktionieren?" Mit dieser Frage werden sich wohl nach der Vorstellung einige beschäftigt haben. Aber vorher gibt es noch stürmischen Applaus für die Darsteller. Das Konzept mit Laien und Profis, Orchester und großartigen Sängern ist aufgegangen.
Die nächsten Aufführungen: 10. März, 1. und 2. April, Karten: 0651/718-1818.

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