"Die weltgrößte und wichtigste Ausstellung"

Kassel/Athem · Alle fünf Jahre pilgern Hunderttausende zur documenta. 2017 könnte mit der Verdoppelung des Ausstellungsortes - 100 Tage Athen und 100 Tage Kassel - die Millionen-Marke geknackt werden. Was ist das Geheimnis der Super-Schau?

Kassel/Athem (dpa) Warum interessieren sich Menschen eigentlich für Kunst? Und was macht den besonderen Reiz der documenta aus? Wenige Tage vor Eröffnung der 14. documenta-Ausstellung versuchen sich drei Expertinnen aus Wissenschaft, Kunstmarkt und Museum an einer Erklärung.
"Ein wichtiger Punkt ist, dass die documenta nur alle fünf Jahre stattfindet", sagt die Kunstsoziologin Dagmar Danko. Für Kunstinteressierte sei die documenta "wie eine Mekka-Fahrt". Auch für Galeristen ist die documenta "auf jeden Fall ein Pflichttermin", sagt Birgit Maria Sturm, Geschäftsführerin des Bundesverbandes Deutscher Galerien und Kunsthändler. Für Besucher biete die documenta "ein Insight in die zeitgenössische künstlerische Produktion". Für Künstler sei die Teilnahme "eine Auszeichnung und Ehre: Eine documenta-Teilnahme bedeutet einen enormen Karriereschub."
Die Kommunikationsstrategie der documenta, im Vorfeld so wenig Konkretes wie möglich zu sagen, findet Sturm anstrengend. Die Geheimhaltung sei aber auch Strategie: "Sie soll die Erwartungen hochschrauben. Die documenta zielt auf Überwältigung."
"Alles Gerede im Vorfeld nützt nichts, wenn die Ausstellung dann nicht funktioniert", sagt Museumsdirektorin Susanne Gaensheimer, die gerade von Frankfurt nach Düsseldorf wechselt. Sie saß in der Findungskommission, die Adam Szymczyk zum künstlerischen Leiter wählte. "Die Kunst ist seine Sprache." Seine zentrale Idee, die documenta gleichberechtigt in Kassel und Athen stattfinden zu lassen, findet sie "absolut überzeugend": "Die Frage zu stellen, wem gehört die documenta, war berechtigt." Athen sei genau der richtige Ort für eine global orientierte Ausstellung, die den Anspruch habe, "mittels Kunst die Gegenwart in Europa und der Welt kritisch widerzuspiegeln".
Der Schlüssel zum Erfolg sei "eine Mischung aus Überraschung und Erkenntnis", glaubt Gaensheimer. Sie hat schon zwei Mal den deutschen Pavillon bei der Biennale in Venedig verantwortet. Im "Superkunstjahr" 2017 fallen beide Ausstellungs-Großereignisse - die zweijährige Biennale und die fünfjährige documenta - ins selbe Kalenderjahr.
Dass Kunstausstellungen überhaupt als wichtig wahrgenommen werden, erklärt Soziologin Danko so: "Ausstellungen sind ein Kommunikationsmedium des Sozialen: Gesellschaften drücken darin aus, wie sie sind oder sein wollen." Dass so viele Menschen hingehen, liegt auch daran, dass so viele hingehen: "Der Großevent-Charakter ist ein entscheidender Aspekt der documenta."
Natürlich gibt es auch kritische Stimmen. Die Zeitung Die Welt kommentierte, die documenta habe leider mal wieder "den Ruf gefestigt, abgehoben zu sein und die Meisterschaft darin zu besitzen, banale Theorien als unverständliche hohe Mauer um die eigentlich gute und für sich sprechende Kunst zu bauen". Szymczyks Weigerung, Fragen zu beantworten, seien "eine Zuhörerdemütigung".
Den stetig steigenden Besucherzahlen wird Szymczyks Schweigen wohl ebenso wenig anhaben wie die schrägen Thesen seiner Vorgängerin Carolyn Christov-Bakargiev, die vor fünf Jahren ein Wahlrecht für Erdbeeren forderte. Für Gaensheimer ist klar: "Die documenta ist die größte und wichtigste Ausstellung der Welt. Das wird auch nicht mehr diskutiert. Das ist einfach so."

Extra: EIN TEMPEL AUS VERBOTENEN BÜCHERN


Für das documenta-Kunstwerk "Parthenon der Bücher" laufen in Kassel die Aufbauarbeiten. Auf dem Friedrichsplatz in der Innenstadt rüsten Arbeiter für die Idee der argentinischen Künstlerin Marta Minujin eine Stahlkonstruktion ein. Sie wird den berühmten Tempel der Göttin Athene in Kassel aus indizierten Büchern nachbauen. Minujin will damit ein Zeichen gegen das Verbot von Texten und die Verfolgung ihrer Verfasser setzen. Dafür werden rund 100 000 Bücher aus aller Welt gesammelt, die entweder früher verboten waren und heute wieder gedruckt werden oder immer noch verboten sind. Der Bücher-Tempel soll in Original-Maßen auf dem Kasseler Platz errichtet werden, auf dem die Nationalsozialisten im Mai 1933 rund 2000 Bücher verbrannten. Minujin hatte in Argentinien nach dem Ende der Militärdiktatur ein ähnliches Kunstwerk mit 30 000 Büchern erschaffen. Der Nachbau des Parthenon-Tempels gehört zu den größten Projekten der internationalen Kunstschau. Die documenta 14 in Kassel beginnt am 10. Juni und dauert bis zum 17. September. Vom 8. April an läuft sie in Athen.

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