Dieser unverwechselbare Klang

NEW YORK. Er war kein großer Instrumentalist, aber ein hervorragender Arrangeur. Der Sound des Glenn-Miller-Orchesters weckt wie keine zweite Jazzband Erinnerungen an die Kriegs- und Nachkriegsjahre.

Für Europa war er in gewisser Weise ein Friedensengel: Als seine Musik live sozusagen in der Alten Welt ankam, war das Ende des Zweiten Weltkriegs in greifbare Nähe gerückt. Zwölf Tage nach der Landung der Alliierten in der Normandie traf Glenn Miller am 18. Juni 1944 in London ein. Da die britische Hauptstadt seit einer Woche Ziel deutscher V-1-Raketen war, wurde ein Dorf namens Bedford 50 Meilen weiter nördlich zum europäischen Basislager des Orchesters, das als "American Band of the Allied Expeditionary Forces" zur Truppenbetreuung über den Atlantik gekommen war. In einem knappen halben Jahr absolvierte Captain (später Major) Glenn Miller mit seinen Musikern rund 800 (!) Auftritte, von denen die BBC zahlreiche übertragen hat - zum Teil bis nach Deutschland. Dafür hatte Miller eigens ein paar Brocken Deutsch gelernt, um seine Musik effizient mit Propaganda verquicken zu können - nachzuhören auf Schallplatten, die der Nachwelt erhalten geblieben sind. Der Wunsch seiner in Paris stationierten Landsleute, die Band ebenfalls einmal live zu hören, wurde Miller zum Verhängnis. Als er am 15. Dezember 1944 seinen Musikern aufs Festland vorausflog, um das Konzert vorzubereiten, stürzte seine Maschine über dem Ärmelkanal ab. Jahrzehntelang hieß es, Eis auf den Tragflächen habe das Unglück verursacht. 1985 traten zwei Piloten der Royal Air Force mit einer anderen Erklärung an die Öffentlichkeit. An jenem Dezembertag kehrte ein Geschwader von rund 150 Lancaster-Bombern nach einem vorzeitig abgebrochen Luftangriff vom Kontinent zurück. Über dem Kanal warfen die Piloten ihre tödliche Fracht ab, um die Gefahr bei der Landung in England zu verringern. Eine der Bomben, so die Aussage, habe Millers Maschine, eine Norseman C-64, getroffen - ein Unglück, das heutzutage zynisch mit "friendly fire" umschrieben wird. Vom unterbezahlten Posaunisten zum meist gefeierten Bandleader seiner Zeit: Es war ein mühsamer Weg für Alton Glenn Miller, der am 1. März 1904 in Clarinda, Iowa, geboren wurde und ab 1924 in verschiedenen Bands spielte, ohne sonderlich aufzufallen. Sein erstes eigenes Orchester, 1937 gegründet, war ein künstlerisches und finanzielles Desaster. Von diesem Misserfolg unbeeindruckt, rief er ein Jahr später seine zweite Band ins Leben. Auch die arbeitete sich zunächst ziemlich unbemerkt durch die Tanzsäle an der Ostküste - bis zu jenem legendären Mai-Abend 1939 im Glen Island Casino in New Rochelle. Da schienen die Besucher erstmals wahrzunehmen, dass sie zu einem ganz neuen Sound tanzten, der Songs wie "In the Mood", "A String of Pearls", "Pennsylvania 6-5000" oder, dem populärsten von allen, "Moonlight Serenade" zu unverwechselbaren Unikaten machte. Was war das Besondere an diesem Klang, den der Jazzwissenschaftler Gunther Schuller ein "musikalisches Phänomen" nennt? Jahrelang hatte Miller daran getüftelt, bis er die richtige Mixtur gefunden hatte: Er legte eine Lead-Klarinette über drei Saxophone und unterfütterte sie mit einem vollen Posaunensatz und gestopften Trompeten. Aus Dutzenden von Bands sofort herauszuhören

Dieser Sound hat sich wie der keiner anderen Swingband in den Ohren eingenistet und das Glenn-Miller-Orchester unverwechselbar gemacht. Als Interpret war Miller selbst an diesem Klang nur am Rande beteiligt. Er hatte in nüchterner Einschätzung seiner Fähigkeiten nie den Wunsch, solistisch in seiner Band zu spielen: "Ich weiß genau, dass ich nicht so gut bin wie Tommy Dorsey; also warum soll ich zweitklassig sein?" Freilich: Die Glenn-Miller-Band war "sweet"; ihre Musik einschmeichelnd bis an die Grenze des Kitsches. Nicht nur deshalb wird sie von manchen Jazzfans nicht als genuiner Jazz anerkannt. Hinzu kommt, dass er seine Musiker, was die freie Improvisation angeht - also das, was den Jazz eigentlich ausmacht -, an der kurzen Leine hielt. Instrumentale Alleingänge, wie sie für die Künstler in den Bands von Count Basie oder Duke Ellington selbstverständlich waren, gab es bei ihm kaum. Ebenso fehlte ihm die Fähigkeit, seine Musiker und Sänger zu eigener Kreativität zu inspirieren. Deshalb war die Miller-Band zu keiner Zeit ein Nährboden für herausragende Solisten. Was den Fans ziemlich gleichgültig sein dürfte. Sie lieben nach wie vor den weichen Sound, der von zahlreichen Glenn-Miller-Revival-Bands fortgeführt wird - und natürlich original auf unzähligen historischen Schallplatten verewigt ist. Die Musik changiert zwischen sanft, süffig und mitreißend und ist unbedingt tanzboden-geeignet. Ganz zu schweigen vom nostalgischen Wert dieser Songs, die die Amerikaner an jene glorreiche Zeit erinnern, als sie den letzten Krieg führten, in dem gesiegt zu haben ihnen von der ganzen Welt hoch angerechnet wurde. Für die Deutschen schließlich sind sie eine Reminiszenz an den Moment der Befreiung, der dem braunen Spuk endlich den Garaus machte.

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