Düster und grandios

Eine Riesen-Herausforderung, mit starker Gemeinschaftsleistung gemeistert: Die sperrige Oper "Mahagonny" von Brecht/Weill ist im Theater Trier in einer neuen Produktion zu sehen, die den Vergleich mit großen Häusern in keiner Weise zu scheuen braucht.

 Dreh- und Angelpunkt: Wolfgang Schwaninger als Jim Mahoney. TV-Foto: Friedemann Vetter

Dreh- und Angelpunkt: Wolfgang Schwaninger als Jim Mahoney. TV-Foto: Friedemann Vetter

Trier. Nein, ein netter, gefälliger Opernabend ist das gewiss nicht. Aber so was hatten Kurt Weill und Bertolt Brecht sicher auch nicht im Sinn, als sie nach der Weltwirtschaftskrise 1929 ihre Geschichte vom Aufstieg und Fall der Stadt schrieben, in der alles käuflich und Konsum das einzige Gesetz ist.

Profit-Center auf der Müllhalde



Regisseur Thilo Reinhardt lässt seine rundherum durchdachte, stimmige und enorm flüssig ablaufende Inszenierung quasi mit dem Schluss beginnen. Das Gauner-Trio Leokadja Begbick (mehr coole Businessfrau als alte Schlampe, gesanglich souverän: Eva-Maria Günschmann), Dreieinigkeitsmoses und Fatty (gut spielend, leider wenig wortverständlich: Laszlo Lukacs und Eric Rieger) baut sein Profit-Center Mahagonny direkt auf die verbliebene Müllhalde einer imaginären Vorgängerstadt. Aufstieg und Fall: ein ewiger Zyklus, mit ewigen Gewinnern und ewigen Verlierern.

In grandiosen, düsteren Bildern schälen Reinhardt und seine Ausstatter Paul Zoller (Bühne) und Katharina Gault (Kostüme) den menschlichen Abfall aus dem Restmüll heraus und locken ihn hinter die Säulen-Fassade eines scheinbaren Palastes - die einen als käufliche Dienstleister jedweder Art, die anderen als zahlungskräftige Kundschaft.

Reinhardts Tableaus sind so drastisch und so bedrückend wie die Handlung, die sie illustrieren. Aber sie wirken auch ohne vordergründige Aktualisierung. Was Brecht/Weill vorausahnend schildern und der Regisseur erstaunlich werktreu auf die Bühne bringt, heißt heute Komasaufen, Gang Bang, Dschungelcamp oder Ultimate Fight. Alles ist möglich, alles ist erlaubt, solange sich Geld damit verdienen lässt. Als unanständig gilt einzig und allein, kein Geld zu haben.

Diese letzte Konsequenz des Kapitalismus erhebt der Holzfäller Jim Mahoney in messianischer Pose zum Gesetz, als ein zerstörerischer Hurrikan auf Mahagonny zubraust. Im Schatten der ultimativen Existenz-Krise brechen die letzten Dämme, alles versumpft in Dekadenz, jegliche Regeln werden abgeschafft. Man schlägt sich gegenseitig kaputt, kopuliert sich um den Verstand, frisst und säuft sich zu Tode.

Reinhardt bringt da Ironie ins Spiel, überzeichnet, mischt eine Spur Monty-Pythons-Humor hinein, aber er lässt letztlich keine Flucht in den Spaß zu. Das Lachen bleibt im Halse stecken angesichts des Zynismus' der Verhältnisse, auch angesichts der rührend chancenlosen Versuche von Jim und der Prostituierten Jenny (darstellerisch wagemutig, stimmlich überzeugend zurückgenommen und fein abgestuft: Vera Wenkert), ein Verhältnis jenseits des Geschäfts aufzubauen.

Inszenierung setzt auf Tempo



Immer wieder legt die Inszenierung an Tempo und Dichte zu, profitiert von einem Maß an handwerklicher Professionalität bei Timing, Technik, Personenführung und Gruppenchoreografie, wie sie in Trier selbst bei guten Inszenierungen selten zu sehen ist.

Davon profitiert der Chor, der sich großartig reinhängt, auf darstellerische Grenzerfahrungen einlässt und eine seiner intensivsten und wichtigsten Leistungen seit langem abliefert - auch wenn im Detail manches präziser sein könnte.

GMD Victor Puhl bewältigt die Herkules-Aufgabe, die Riesen-Truppe und die komplexe Partitur unter einen Hut zu bringen, mehr als respektabel. Die Klang-Sprache der Trierer Philharmoniker ist opulent, zu Recht: Mahagonny ist echte, nicht Dreigroschen-Oper. Die unterschiedlichen Stimmungsbilder werden variabel und emotionsgeladen illustriert. Manchmal könnte man sich das Tempo etwas vorwärtstreibender vorstellen, aber Puhl ist klug genug, angesichts der immensen szenischen Ansprüche musikalisch die Kirche im Dorf zu lassen. Gefeierter Dreh- und Angelpunkt des Abends ist Wolfgang Schwaningers berührender, darstellerisch wie gesanglich gleichermaßen brillierender Jim Mahoney.

Herausforderung bestanden



Wie er gemeinsam mit seinen Holzfäller-Kollegen (schauspielerisch umwerfende Rauf- und Saufbrüder: Peter Koppelmann, Jürgen Orelly und Pawel Czekala) in Mahagonny einfällt, angesichts wachsender Übersättigung nach immer radikaleren Kicks sucht, die Spirale des Wahnsinns antreibt und ihr schließlich selbst zum Opfer fällt: Das ist ganz großes Sänger-Darsteller-Theater. Und wirkt dabei stimmlich unfassbar unangestrengt, wo selbst berühmte Kollegen schon die letzten Reserven bemühen müssen.

Gut, dass ein Theater sich, seine Künstler, seine Technik und das Publikum ab und zu mal so richtig fordert. Das Haus hat die Herausforderung bestanden. Vom Publikum, das freundlich applaudierte, hätte man sich etwas mehr Enthusiasmus erhofft. Vielleicht kommt der mit den Text-Übertiteln, die ab der zweiten Vorstellung funktionieren sollen.

UMfrage

Adrian Ludig, Trier: Die Sänger waren fast schon zu perfekt für ein Brecht/Weill-Stück. Das Bühnenbild war richtig klasse mit dem Vergnügungstempel. Schöne und teils krasse Spiel-Szenen. Julia Reidenbach, Trier: Durch und durch eine tolle Inszenierung. Das Bühnenbild hat mich total begeistert. Den Schluss mit den Taschenlampen fand ich super. Hermann Hubing, Gießen: Mit dem Tod konnte ich wenig anfangen. Musikalisch fast schon zu schöne Stimmen. Im positiven Sinne negativ, wenn man so will. TV-Umfrage: Ludwig Hoff

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