US-Wahlen Aufstieg und Fall der US-Sozialdemokraten

Milwaukee/Luxemburg · Edward Steichen, Macher der Ausstellung The Family of Man, stand den US-Sozialdemokraten nahe. Ideen, die der Joe Biden in den Vorwahlen unterlegene Demokrat Bernie Sanders in seine Agenda übernommen hatte.

Ein Selbstporträt des Fotografen Edward Steichen. 

Ein Selbstporträt des Fotografen Edward Steichen. 

Foto: picture-alliance/ dpa/Edward Steichen

Joe Biden galt während der Vorwahlen der Demokraten zu den heutigen Präsidentschaftswahlen im Vergleich zu Bernie Sanders als der „bessere“ Herausforderer. Mit ihm an der Spitze hoffen die „Dems“ Donald Trump aus dem Weißen Haus zu jagen. Sanders gab das Kandidatenrennen Anfang April auf, nachdem er mehrere Vorwahlen verloren hatte und bei den Kandidatenstimmen für den Nominierungsparteitag aussichtslos zurücklag.

Sanders galt vielen in der demokratischen Partei als zu „links“. Man fürchtete, dass mit ihm als Präsidentschaftskandidat konservative Wähler ihre Stimme — wie vor vier Jahren — wieder Trump geben würden. Sanders ist für viele in der Partei ein „Sozialist“. Und er wäre für viele Konservative damit „unwählbar“. Dabei blickt die Sozialdemokratie in den USA auf eine traditionsreiche Geschichte zurück, und sie beeinflusst Politik und Kultur bis in die Gegenwart. So stehen Musiker wie Peter Seeger oder Bruce Springsteen in der Tradition des Autors und Journalisten Carl Sandburg (1878 — 1967). Der Schriftsteller ist das Bindeglied zwischen Sanders und der aus Luxemburg in den 1880er Jahren nach Milwaukee emigrierten Familie Steichen.

Sandburg, Sohn schwedischer Einwanderer, zieht 1903 in die am Lake Michigan gelegene Stadt, um als Journalist zu arbeiten. Bald tritt er der Sozialdemokratischen Partei bei. Im Jahr 1907 lernt er Lilian „Paula“ Steichen (1883 — 1977) kennen und heiratet sie. Sie ist eine glühende Sozialistin und Frauenrechtlerin sowie die Schwester des Fotografen Edward Steichen (1879 — 1973). Er sollte mit der Ausstellung „The Family of Man“, die seit 1994 in Schloss Clervaux gezeigt wird, eine der einfussreichsten Ausstellungen in der Fotografie-Geschichte konzipieren.

Nach der Wahl des Freundes der Familie Steichen, Emil Seidel (1864 — 1947), zum Bürgermeister von Milwaukee im Jahr 1910, wird Carl Sandburg dessen Sekretär. Er war der Sohn deutscher Einwanderer und der erste sozialistische Bürgermeister der USA. Seidel wird im Jahr 1912 Vize-Präsidentschaftskandidat von Eugene V. Debs (1855 — 1926).

Und hier schließt sich der Kreis zu Bernie Sanders. Laut Gerd Hurm, Professor für Amerikanistik an der Universität Trier, steht der Joe Biden unterlegene Kandidat der Demokraten für ihr sozialdemokratisches Gewissen. Als Direktor der American People’s Historical Society drehte Sanders 1979 einen Dokumentarfilm, der an den „Gewerkschafter, Sozialisten, Revolutionär“ Eugene V. Debs erinnert.

Debs war im regelmäßigen Austausch mit den Sozialisten in Milwaukee um Victor Berger (1960 — 1929). Carl Sandburg machte Wahlkampf für Debs. Milwaukee entwickelt sich zur sozialistischen Hochburg in den USA. 1936 zeigt das Time Magazin den sozialistischen Bürgermeister der Stadt, Daniel Hoan (1881 — 1961), auf dem Titelbild, als Zeichen der auf der Höhe der Weltwirtschaftskrise wohl best-regierten Stadt in den USA.

Die Sozialdemokraten von Milwaukee stehen auch für eines der Akzeptanzprobleme der Sozialdemokraten in den USA. Viele hatten einen deutschen Migrationshintergrund, viele wurden während des Ersten Weltkriegs von der amerikanischen Justiz wegen Landesverrats verurteilt (Eugene V. Debs, Victor Berger), weil sie sich gegen einen Kriegseintritt der USA aussprachen. Und dann wäre da noch die Prohibition: Biergärten waren beliebte Versammlungsorte für Sozialisten. Als sie wegen der Prohibitionsregeln geschlossen wurden, fehlte ihnen der Raum, sich zu Parteiversammlungen zu treffen. Alles keine guten Voraussetzungen für sozialdemokratische Ideen in den USA.

„Mich fasziniert an dieser Geschichte, dass Edward Steichen Teil dieser multikulturellen und fortschrittlichen Stadt Milwaukee war, auf sie mit seinen Ideen Einfluss genommen hat. Heute wäre er sicherlich ein engagierter Künstler an der Seite der Black-Lives-Matter, Fridays-for-Future und Me-Too-Bewegung“, sagt Gerd Hurm.

Gerd Hurm ist der Autor über Edward Steichen, die 2019 in den Editions Saint Paul erschienen ist.

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