Literatur Konkurrenz hinter den Kulissen

Trier Bitburg · Etwa 400 Menschen haben diese Tage in der Region Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk live erlebt. Die polnische Schriftstellerin war zu Gast in der Bitburger Stadthalle und der Europäischen Kunstakademie in Trier. Ihr doppelter Auftritt in der Region sorgt im Nachhinein für Verstimmung. Ein Blick hinter die Kulissen.

 Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk mit ihrem Übersetzer (links) und Josef Zierden auf der Bühne des Eifel-Literatur-Festivals.

Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk mit ihrem Übersetzer (links) und Josef Zierden auf der Bühne des Eifel-Literatur-Festivals.

Foto: Eifel-Literatur-Festival

Schon bald nachdem Olga Tokarczuk im Oktober 2019 den Literaturnobelpreis erhielt, war Josef Zierden dabei, sie als Gast fürs nächste Eifel-Literatur-Festival (ELF) zu gewinnen. „Ich habe schon am 3. März 2020 meine Anfrage an den Verlag gestellt“, erzählt der Festivalleiter, der zuvor bereits die Nobelpreisträger Imre Kertesz, Herta Müller, Günter Grass und Swetlana Alexijewitsch in die Eifel geholt hatte. Nachdem der Verlag Zierden an das Büro der Autorin in Polen weiterleitete, warb er immer wieder nachdrücklich für sein Anliegen. Im Hinterkopf schwirrte ihm noch sein Werben um Günter Grass, das 14 Jahre gedauert  hatte. Umso erfreuter war er, als ihm Tokarczuks Büro bereits am 18. August, also nach fünf Monaten, eine Zusage gab. „Ich war so froh, dass ich sie bekommen habe“, erzählt Zierden. Als er die Lesung dann im November mit dem kompletten Festivalprogramm öffentlich machte, war das (wegen Corona stark verkleinerte) Kartenkontingent ruckzuck verkauft. Nach einer Verlegung in einen größeren Saal zog der Auftritt Tokarczuks und ihres Übersetzern vergangenen Freitag 300 Besucher an.

Doch Zierden schwoll der Kamm, als er wenige Wochen zuvor las, dass die Autorin auch in Trier in der Europäischen Kunstakademie zu Gast sein würde – auf Einladung von Wissenschaftlicher Bibliothek und Stadttheater. Er findet, „dass das nicht sauber ist, mich die Kärrnerarbeit machen zu lassen (Tokarczuk in die Eifel zu holen) und sie dann 30 Kilometer weiter einfach reinzuwinken.“ Zwei Lesungen so nah beieinander passten nicht zur Exklusivität des Eifel-Literatur-Festivals. Die Kritik richtet sich sowohl gegen den Verlag („Das hätte der noch junge Verlag Kampa nicht ohne Rücksprache mit mir vornehmen dürfen“) als auch gegen die Veranstalter in Trier. Dem Theater, unterstellt Zierden, sei es darum gegangen, Kosten von Fahrt und Unterkunft zu sparen, die bereits das ELF gezahlt habe. „Für mich ist das kulturelles Schmarotzertum einer moralischen Anstalt, die uns alle den Spiegel vorhalten will und selber moralisch erbärmlich agiert.“

Rückfrage bei den Trierer Veranstaltern: Was ist dran an der Kritik? Prof. Michael Embach, Direktor der Wissenschaftlichen Bibliothek, weist die Vorwürfe zurück. „Wir haben über ein Jahr lang versucht, den Besuch von Frau Tokarczuk in trockene Tücher zu bringen.“ Die Lesung sollte im Kontext des Trierer Programms zu „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ stehen, in den der große Roman „Die Jakobsbücher“ gehöre. Gefragt war eine Autorin, die sich mit dem Judentum auseinandersetze, erklärt Magdalena Palica, Mitarbeiterin der Bibliothek, die den Kontakt nach Polen anbahnte. Palica stammt zufällig aus dem Ort, in dem Tokarczuk heute lebt. „Ich habe Olga Tokarczuk im November 2019 zum ersten Mal angeschrieben“, erzählt sie. Mit dem Festival in der Eifel habe das nichts zu tun. „Wir mussten uns nach den Reiseplänen von Frau Tokarczuk richten.“ Nach den Auftritten in Bitburg und Trier, wo am Montag übrigens 100 Besucher zur Lesung kamen und die Nachfrage nach Karten mehr als doppelt so hoch war, fuhr die Schriftstellerin weiter nach Darmstadt.

Auch Theaterintendant Manfred Langner weist die Kritik zurück. „Das Theater hat nichts davon gehabt, die Lesung im intimen Rahmen zu veranstalten“, stellt er klar. Er habe lediglich für ein spannendes Thema im jüdischen Jubiläumsjahr die Räume zur Verfügung gestellt und weder auf den Termin noch auf den Vertrag mit der Autorin Einfluss gehabt.

Apropos Vertrag: Nicht selten werden Gebietsschutzklauseln in die Vereinbarungen von Künstlern und Veranstaltern aufgenommen – zeitlich und räumlich. Bei Olga Tokarczuk habe es keinen förmlichen Vertrag gegeben, so Zierden, sondern lediglich Mails über Termin, Ort und Honorar. In förmlichen Verträgen bestehe er durchaus auf Exklusivität im Umkreis von 60 Kilometern, sagt der Festivalleiter. So habe er schon Autoren vor die Wahl gestellt, entweder in der Eifel oder auf einem saarländischen Festival zu lesen. Hier aber nicht. In Trier wurde zwar ein Vertrag geschlossen, aber erst kurz vor der Lesung.

Und wie haben die beiden Veranstalter es geschafft, die Schriftstellerin zu gewinnen, die sich nach der Nobelpreisvergabe vor Anfragen kaum retten konnte? „Hartnäckig dranbleiben“, sagt Zierden. Die Trierer hatten ein besonderes Schmankerl. In ihren Romanen bezog Tokarczuk sich auf historische Bücher, die sie selbst im Original noch nie gesehen hatte. Sie liegen in Trier in der Schatzkammer. Bei einer Exklusiv-Führung zeigten Embach und Palica dem Gast und ihrem Mann die seltenen Stücke. Diese Begegnung sei „eine unglaubliche Bereicherung“ gewesen, so Embach. Und Palica ergänzt: „Sie saß da mit leuchtenden Augen.“

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