Ein Abend auf der Achterbahn der Gefühle

Was für ein emotionales Auf und Ab: Die neue Festspiel-Oper "Samson und Dalila" bot ein grandioses Bühnenbild, hervorragende musikalische Leistungen, tolle szenische Arrangements, durchwachsene Rollen-Porträts - und am Ende das frustrierende Gefühl, um den Höhepunkt betrogen worden zu sein.

Trier. Man hätte heulen können. Wenn nicht gerade so viele andere Leute dabei gewesen wären. Es war um Mitternacht im Festspielzelt, als die verbliebenen Chorsänger, manche immer noch in ihrer roten Schminke, spontan und mit einer Spur von trotziger Verzweiflung einige Passagen aus dem 3. Akt von "Samson und Dalila" anstimmten. Jenem Akt, den zu singen und zu gestalten ihnen an diesem Abend ein paar elende Regenwolken verwehrt hatten. Sie hätten ihr großes Finale verdient gehabt, gerade der Chor, der an diesem Abend trotz hoher szenischer Anforderungen so schön, so genau und so gefühlvoll gesungen hat, dass niemand auf die Idee käme, die 80-köpfige Truppe sei nur für diese eine Produktion zusammengekommen.Der Chor-Gesang ist nur eine von vielen Hoch-Leistungen, die sich an diesem Abend addieren. Was Ausstatter Francois Valentiny und Regisseur Kurt Josef Schildknecht an großen Tableaus ins Amphitheater gezaubert haben, sprengt den Rahmen dessen, was man bei den Festspielen bislang zu sehen bekommen hat.Die Bühne ist eine riesige Landschaft, die die wiesenbewachsenen Ränge im Hintergrund einbezieht. Unterschiedliche, geschickt angeordnete Spielflächen erlauben rasche Szenenwechsel. Abstrakt geformte, 16 Meter hohe Türme markieren den Tempel, eine große Freifläche erlaubt markante Aufmärsche und Choreografien.Das intelligent zu bespielen, ist nicht nur ein Handwerk, sondern auch eine Kunst für sich, und Schildknecht beherrscht beides. Mit einfacher, kraftvoller, das Holzschnittartige nicht scheuender Symbolik setzt er die Handlung um. Koffer, Blumen, Fahnen als Accessoires - die Botschaften bedürfen keiner Enträtselung. Das wirkt in seiner gestischen Übertriebenheit manchmal wie ein alter Stummfilm, aber es funktioniert. Wobei die Gefahr des Opern-Museums nicht fern läge, wären da nicht die skurrilen, fantasievollen, bisweilen ins Absurde tendierenden Kostüme von Valentiny. Das ist schon ein wilder Stilmix von "Vermächtnis des Inka" über den "Tiger von Eschnapur" bis "Nosferatu", aber stets mit einem Augenzwinkern. Und immer überlebensgroß, mit hohem Kopfputz, viel Farbe. Bilder zum Schwelgen, zumal, wenn es dunkel wird. Im dritten Akt, das konnten leider nur die Besucher der Generalprobe sehen, wirft einen die Pracht aus Licht, Menschen, Bühne und Kostümen förmlich um. Endlich ein Szenenbild, das nicht hinter dem Ort zurückbleibt, an dem es inszeniert wird. Das Konzept schreit nach Fortsetzung.Das Konzept schreit nach Fortsetzung

 …stattdessen galt es, sich mit dem Regen zu arrangieren, was aber nur bis zur Pause gelang. Foto: Ludwig Hoff

…stattdessen galt es, sich mit dem Regen zu arrangieren, was aber nur bis zur Pause gelang. Foto: Ludwig Hoff

Über die Anlage der einzelnen Rollen lässt sich streiten. Vor allem bei der knallgrün gewandeten Dalila, an der sich eindeutig zu viele Männerfantasien ausgetobt haben. Natürlich ist die Priesterin eine erotisch aufgeladene Figur, aber die Musik von Saint-Saens verbindet das Sexuelle mit Geheimnis und Zauber, weniger mit Table Dance. Das ist keine Kritik an der Darstellungskunst von Dubravka Musovic, die das ihr abverlangte Tempel-Luder mit vollem Körpereinsatz spielt (man könnte auch sagen: sie kniet sich buchstäblich hinein). Dabei ist das völlig unnötig, hat die Sängerin doch in ihrer exzellent geführten, die weichen Bögen der Melodien wunderbar ausbalancierenden Stimme so viel Sex-Appeal, dass man sich szenisch gut hätte mit weniger zufrieden geben können.Musovic singt ebenso wie "Samson" John Uhlenhopp mit großer Leichtigkeit über das Orchester hinweg, das direkt vor dem Publikum platziert ist. Der Tenor schafft, was selten gelingt: Lyrische und dramatische Passagen gleichermaßen gut zu gestalten, Innigkeit und Wucht miteinander zu verbinden. Beide Hauptdarsteller treffen zudem wunderbar den französischen Ton dieser Oper, ebenso übrigens wie der Trierer Bass Thomas Schobert als bemerkenswert stimmkräftiger Statthalter.Laszlo Lukacs gibt einen starken, kraftvoll schurkischen Oberpriester - auch er ein leuchtendes Beispiel für die erheblich verbesserte Akustik des Amphitheaters. In weiteren Rollen überzeugen Juri Zinovenko, Gor Arsenian, Peter Koppelmann und Horst Lorig, auch Ballett und Statisterie tragen erheblich zum Gelingen der Produktion bei.Die Luxemburger Philharmoniker gehen die Sache - vom Wetter abgesehen - sehr relaxed an. Da brennt nicht unbedingt ein loderndes Feuer, aber der Klang ist luzide, die Einsätze genau und das musikalische Konzept stimmig. Marc Soustrot ist ein eleganter, bisweilen etwas verspielt wirkender Taktstock-Ziselierer, aber im entscheidenden Moment hat er das hochkomplizierte, auf großem Raum verteilte Ensemble aus Orchester, Solisten und Chören vorzüglich im Griff. Da waltet jene Souveränität, die eine solche Mammut-Produktion braucht.Schon zur Pause langer, respektvoller Beifall. Es wären am Ende, die Wette gilt, rauschende Ovationen geworden. Man hätte heulen…aber das hatten wir schon.

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